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Inhalt: Ein neuer Fall hält das BAU-Team in Atem, denn der Täter spielt mit ihnen ein grausiges Spiel. Als der Verbrecher dann einen ihrer Kollegen ins Vidier nimmt, wird der Fall sehr persönlich.

Anmerkung: Diese Serie hat mich gepackt und nicht mehr losgelassen. Insbesondere die Charaktere Gideon und Reid haben es mir angetan. Die Geschichte kam mir in den Kopf und musste einfach heraus. Ich würde mich über ein Feedback im Gästebuch sehr freuen und einen lieben Dank an meine Beta JoJa.

Disclaimer: Mir gehört an dieser Geschichte gar nichts und den Erfindern der Serie „Criminal Minds“ dafür alles. Alle Personen drum herum sind frei erfunden und gehören mir auch nicht wirklich.

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 Der Milltown-Kannibale

 „Gehen wir das ganze noch einmal durch!“ Gideon sah in die Runde des Teams, sie alle waren müde und erschöpft und doch gab niemand auf. Sie alle wussten, was von ihrer Arbeit abhing. Sie hatten schon oft schwierige Fälle gehabt, doch dieser war besonders Grauen erregend.

JJ strich sich mit der Rechten eine ihrer blonden Strähnen aus dem müden Gesicht. Sie hatte noch vor einer Stunde der zähnefletschenden Meute der Presse Paroli geboten. Die Journalisten nannten ihn den „Milltownmörder“. Gideon war froh, dass sie die meisten Details bisher vor der Presse hatten geheim halten konnten. Die Bevölkerung im Großraum Chicago war schon verunsichert genug.

Die BAU war sofort hinzugerufen worden, als das erste Opfer im alten Milltown-Gemeindezentrum gefunden worden war. Das war ungewöhnlich, in der Regel wurde sie erst gerufen, wenn das dortige Bureau nicht mit dem Fall fertig wurde oder es sich als die Tat eines Serienkillers herausstellte. Doch dieser Fall lag anders. Es war eindeutig die Tat eines Psychopathen, der Zustand seines Opfers und die Beweislage hatten sogar Jason Gideon für einen Moment den Atem geraubt. Die Tatortfotos hingen an einer großen Wandtafel im Besprechungsraum und immer wieder musste er seinen Blick dorthin wandern lassen.

Sie waren jetzt seit sieben Tagen hier und hatten inzwischen weitere zwei Opfer aufgefunden. Alle Opfer waren übel zugerichtet und die Obduktionen hatten grausiges offenbart. Wenn die Öffentlichkeit von ihnen erfuhr, wollte er nicht in der Haut von JJ stecken.

Hotch stand auf und trat an die Tafel auf der sie alle Hinweise dokumentiert hatten. „Wir haben drei Tote. Alle drei wurden im Stadtteil Milltown gefunden und alle drei wurden seit mehr als zwei Tagen vermisst.“

„Es muss irgendeine Verbindung zu diesem Stadtteil geben.“ Elle blätterte in einem der vielen Aktendeckel auf dem Tisch. Auch sie wirkte müde und rührte lustlos ihren Kaffee.

„Richtig.“ Hotch wandte sich den Tatortbildern zu. „Alle Opfer wurden aber nicht am Fundort getötet, dafür war dort zu wenig Blut und der Täter hat sich viel Zeit mit ihnen gelassen.“

„Laut der Obduktionsunterlagen waren mache der Verletzungen bereits drei Tage alt, als der Tod eintrat. Den Opfern wurden nach und nach kleine und größere Gewebeteile entfernt. Laut des Berichtes, fehlten den zwei neuen Opfern auch die Leber. Bei Opfer Nummer Zwei, Lisa Shekton, ist die Todesursache die unsachgemäße Entfernung der selbigen. Beim dritten Opfer Michael Duddins hatte er schon mehr Übung.“

Reid war das jüngste Mitglied des Teams und Gideon war immer wieder verblüfft über die Fähigkeiten des Jungen und gleichzeitig machte er sich Sorgen um ihn. Reid war kein klassischer FBI-Agent. Ihm fehlte die Stärke, die man in diesem Job brauchte und doch hielt er sich gut. Im Moment studierte er die Lebensläufe der Opfer und suchte nach Parallelen. „Alle drei Opfer waren zwischen 18 und 25 Jahre alt. Er bevorzugt junge Opfer.“

„Junges Fleisch!“ Gideon schaltete sich in die Diskussion ein. Er war der erfahrenste des Teams und kannte die Abgründe der Menschheit zu genüge. „Es ist zu offensichtlich worauf es ihm ankommt. Alle Opfer sind jung und er entfernt ihnen große Stücke ihres Fleisches.“

„Kannibalismus?“ Hotch zog sich einen Stuhl heran. „Das würde zu den Wunden passen.“

„Und er wird gieriger.“ Gideon beobachtete die Reaktion seiner Kollegen. Sie alle wussten schon lange, dass dies kein einfacher Fall sein würde, trotzdem sah er Entsetzen in den Gesichtern der jüngeren Kollegen. Er erinnerte sich noch gut an seinen fünften Fall beim BAU. Philadelphia wurde damals von einer Serie von Morden heimgesucht und sie hatten sechs Monate gebraucht dieses Monster zufassen. „Er sucht nach dem perfekten Opfer, der perfekten Zubereitungsart. Ihm ist es wichtig, dass das Fleisch zart ist.“

„Woraus schließt du das?“ Hotch blickte ihn fragend an.

„Die Opfer werden jünger und ...“ Gideon stand auf und wies auf die Fotos der Opfer. „Bei Opfer Nummer eins, Carlton Meyers, hat er sich einen Sportler ausgesucht. Viele Muskeln und sehr zähes Fleisch. Die Ausführung war unbeholfen und der Mann starb schnell.“

„Lisa Shekton war Modell und 3 Jahre jünger. Zarteres Fleisch.“ Morgan sah zu den Fotos des jungen Mädchens. Der Täter hatte ihr große Haut- und Fleischstücke aus den Oberschenkeln und von den Hüften geschnitten. Die älteste Wunde war zwei Tage alt. Gestorben war sie an der unsachgemäßen Entfernung der Leber. „Alle drei Opfer hatten aufgebissene Lippen. Wie passt das in das Bild?“

„Er kontrolliert seine Opfer, aber er will dass sie an seinem Vergnügen teilhaben können. 1969 hatte Neill Gorden fünf Frauen zu Tode gefoltert und dabei penibel darauf geachtet, dass sie alles mitbekamen. Er brauchte das Publikum und hatte hunderte von Tonbändern in seinem Haus mit den Aufzeichnungen der Schreie.“ Wie immer schlug Reid einen etwas unterkühlten sachlichen Ton an, wenn er über vergleichbare Fälle dozierte. Keine Regung  verriet inwieweit er davon fasziniert oder abgestoßen war.

 

„Ganz richtig Reid.“ Gideon hatte den gleichen Gedanken gehabt. „Er zelebriert das Zubereiten und die Mahlzeit. Ihm ist die Anerkennung seiner Opfer wichtig.“

 

„Die Frage ist wie wir weiter vorgehen. Seinem bisherigen Vorgehen nach zu schließen hat er bereits wieder ein Opfer in seiner Gewalt.“ Hotch wandte sich an Morgan. „Vielleicht gibt es bereits eine Vermisstenmeldung.“

 

„Ich kümmere mich darum und...“ Er wurde von einem der örtlichen Beamten unterbrochen, der zur Tür hereinkam. „Entschuldigen Sie bitte. Das hier ist an sie adressiert.“ Damit überreichte er Hotch einen großen braunen Umschlag.

 

Der BAU-Agent wog den Umschlag einen Moment in seiner Rechten und sah skeptisch zu Gideon herüber. Er tastete vorsichtig das Paket ab und öffnete es unter den gespannten Augen seines Teams am oberen Rand. Hotch blickte hinein und lies vorsichtig eine CD in die Mitte des Tisches gleiten. Gideon biss sich auf die Lippen. Dieser Fall hatte eine neue Wendung genommen – auf der CD-Hülle war ein Foto geklebt – es zeigte das angstverzerrte Gesicht von Duddins.

 

***

 

Die Untersuchung des Umschlages und der CD durch die Spurensicherung hatte nichts ergeben und nun saßen sie um den Monitor herum, während Morgan die Disk startete.

 

Auf dem Bildschirm waren zunächst nur einige Bildstreifen zu sehen, doch dann sahen sie sich plötzlich mit dem blassen Gesicht eines weiteren Opfers konfrontiert. Im Hintergrund hörte man den schweren Atem des Mörders, während er die perverse Szenerie mit der Kamera einfing. Das Opfer lag auf einem Bett, dessen Laken blutdurchtränkt waren und um seine Augen war ein Klebestreifen gebunden worden. Es war nicht zu erkennen, ob der Mann noch lebte oder bei Bewusstsein war. Morgan trat einen Schritt zurück und lehnte sich an die Rückwand des Raumes.

 

Plötzlich schwenkte die Kamera herum und zeigte einen Tisch mit zwei Kerzen darauf. Der übrige Raum lag in Dunkelheit und es waren wenige Einzelheiten auszumachen. Langsam näherte sich der Täter dem Tisch und einige Bildwackler ließen darauf schließen, dass er die Kamera auf ein Stativ positionierte. Er zoomte den Tisch näher heran und trat dann hinter der Kamera hervor.

 

„Er ist nicht dumm.“ Gideon beugte sich vor um mehr Details erkennen zu können. Der Täter hielt sein Gesicht konsequent außerhalb des Kamerabereiches. Er trug eine blaue Anzughose und einen braunen Strickpullover. Nichts lies auf seine Identität schließen, doch Gideon versuchte auf jedes Detail zu achten. Wie bewegte er sich? Waren seine Hände, die nun das Besteck auf dem Tisch in die Hand nahmen, gepflegt?

 

„Er ist kultiviert. Das Geschirr ist nach der klassischen viktorianischen Methode drapiert.“ Reid deutete auf die Leinwand. Gideon musste ihm zustimmen, der Mann bewegte sich weder plump, noch schien es ihm an Tischmanieren zu fehlen. Sie alle wussten was der Mann hier tat. Er hielt die Gabel mit dem ersten Stück demonstrativ in die Kamera.

 

„Er macht sich über uns lustig!“ Elle klang mehr als entrüstet.

 

„Allerdings! Er macht uns zu seinem Publikum.“

 

***

 

Es war tief in der Nacht und Hotch war als letzter im Büro verblieben. Er hatte sein Team in die Hotelzimmer geschickt. Übermüdet würden sie niemanden helfen können. Immer wieder sah er sich die Filmaufnahmen an. Dieser Scheißkerl verhöhnte sie und das machte ihn wütend. Er schien ihnen immer einen Schritt voraus. Am Ende des Videos hatte er ihnen sogar noch gedroht. Anders konnte man es nicht nennen, er wolle ihnen zeigen, dass er der bessere ist und offenbarte ihnen das Gesicht seines neuesten Opfers.

 

Erneut drückte er die Taste und startete die Aufnahme.

 

„Was glaubst du zu finden?“ Er hatte Jason nicht hereinkommen hören.

 

Hotch stoppte die Aufnahme. „Ich weiß es nicht. Irgendein Detail vielleicht, dass mir zuvor entgangen ist.“ Immerhin konnten sie ihr Profil stärker eingrenzen. Ein Weißer mittleren Alters mit guter Bildung stand auf der großen Wandtafel. Sie hatten noch lange diskutiert und ihnen allen war klar, dass der Fall eine völlig neue Wendung genommen hatte. Er hatte sie zu seinem Publikum gemacht.

 

„Haben wir inzwischen einen Namen für Opfer Nummer vier?“

 

Er seufzte. „Ja! Seit gestern wird Dexter Forbes vermisst. Das Foto stimmt mit dem Gesicht aus dem Video überein. Seine Frau hat ihn zuletzt gesehen, wie er morgens das Haus verlies.“ Er schlug einen Aktendeckel auf. „Außerdem kam der histologische Befund der anderen Opfer. Alle Proben enthielten spuren von Narkotika. Unser Mann kennt sich anscheinend gut damit aus.“

 

„Dieser Fall ist anders als die anderen.“

 

„Ist ein Fall das nicht immer?“

 

„Hotch, hast du schon einmal ein ungutes Gefühl gehabt?“

 

„Natürlich.“ Der junge Leiter des Teams sah seinen Kollegen irritiert an. Normalerweise war Jason der ruhige Pol des Teams, immer ausgeglichen und sachlich. „Warum?“

 

„Ich kann es nicht erklären, aber ich habe das Gefühl Teil eines Spieles zu werden, dass ich nicht spielen will.“ Er wandte sich dem Bildschirm zu. „Spiel es noch einmal Hotch. Ich werde das Gefühl nicht los, dass er uns einen Zug voraus ist.“

 

***

 

Die Agenten des BAU hatten allesamt in einem Motel nahe dem Polizeirevier Quartier bezogen, somit waren sie bei Bedarf immer schnell vor Ort. JJ war zwar zum einen hundemüde, aber sie fand keine Ruhe und beschloss noch vor die Tür zu gehen. Es war ein sehr warmer Sommertag gewesen und der Asphalt des Innenhofes strahlte noch immer die gespeicherte Wärme ab. Ein Drink könnte jetzt nicht schaden und so machte sie sich auf den Weg zu den Getränkeautomaten an der Rezeption. Das Licht der Zimmer drang durch einige der Vorhänge und erleuchtete den Innenhof nur schwach.

 

JJ sah zu den Zimmern ihres Teams. Gideon und Hotch hatten wie sie Zimmer in der oberen Etage und dort war alles dunkel. Als sie sich umsah fehlte das Auto ihres Vorgesetzten und sie würde darauf wetten, dass er noch immer im Büro saß. Bei Morgan schien der Fernseher noch an zu sein. Sein Zimmer lag gleich neben der Rezeption, die sie nun erreichte. JJ warf die Münzen in den Automaten und holte sich eine Coke. Davon würde sie zwar auch nicht besser schlafen, aber das war jetzt eigentlich auch egal. Auf dem Rückweg zu ihrem Zimmer atmete sie tief durch und sah, dass auch bei Spence noch Licht brannte. Vermutlich wälzte er wieder einen dieser dicken Schmöker. Er hatte von ihnen allen immer den schwersten Koffer. JJ tippte auf mindestens fünf Bücher, die er zu jedem Fall mitbrachte.

 

Bei Elle waren bereits alle Lichter gelöscht, wenigstens eine die ihren wohlverdienten Schlaf genoss. Bei der BAU zu arbeiten verlangte einem viel ab, vor allem seinen Seelenfrieden und jeder hatte seine ganz eigene Methode das zu kompensieren. Sie beneidete Hotch um sein Familienglück und Morgan nutzte den Fernseher um wieder herunter zu kommen.

 

Das Video war ihnen allen an die Substanz gegangen. Kurz war der grinsende Mund dieses Bastards ins Bild gekommen. JJ schauderte bei dem Gedanken, was er sich dann in den Mund geschoben hatte. Sie hatten keine Idee wer der Typ war und doch schien er einiges über sie und die Ermittlungen zu wissen. Der Umschlag war an Hotch persönlich adressiert gewesen. Gegenüber der Presse hatte sie das nie erwähnt.

 

Der Täter musste Insiderinformationen haben, woher auch immer. JJ schritt über den Platz und nahm die Bewegung im Schatten der Hauswand nicht war. Stattdessen drehte sie sich noch einmal und blickte über den Hof. Wie sie solche Motels hasste. Sie waren unpersönlich und kalt und unterstrichen das sowieso vorhandene Gefühl nicht zuhause zu sein. JJ seufzte und drehte auf dem Absatz um, sie sollte besser versuchen zu schlafen, damit sie der Pressemeute morgen gewappnet war.

 

Zwei Augen begleiteten sie, als sie die Tür aufschloss, rührten sich aber nicht.

 

***

 

Der Duft von Kaffee durchzog die Büroräume an diesem sonnigen Morgen. Im Präsidium herrschte hektisches Treiben und Gideon schubste mit dem rechten Bein die Tür ins Schloß, damit sie etwas Ruhe hatten. Hodge hatte das Team zur morgendlichen Besprechung gerufen, um die neusten Erkenntnisse durchzugehen. Gideon sah auf die Uhr, es war gerade mal halb acht und er hatte es in dieser Nacht auf 4 Stunden Schlaf gebracht.

 

Als er abends mit Hotch im Motel eingetroffen war, leuchtete nur bei Reid noch das Licht. Das hatte ihn nicht unbedingt gewundert, denn der junge Wissenschaftler neigte dazu über seinen Büchern einzuschlafen. Morgan griff sich eine der Kaffeetassen und schenkte sich ein. Derek war ein eindeutiger Kaffeejunkie und als er den ersten Schluck trank entspannte sich sein Gesicht.

 

„Gut! Fangen wir an. Weiß jemand wo Reid bleibt?“ Hotch sah fragend in die Runde.

 

Gideon hatte ihn heute noch nicht gesehen, er war davon ausgegangen, dass er mit Morgan zum Präsidium gefahren war und so zuckte mit den Schultern.

 

„Ich habe ihn heute Morgen nicht gesehen.“ Elle sah fragend in die Runde, aber auch die anderen schüttelten unwissend den Kopf.

 

Gideon griff zu seinem Handy und stand auf. „Ich werde ihn wecken.“ Er trat vor die Tür und wählte die 11-stellige Nummer, doch niemand ging ran. Das war jetzt mehr als ungewöhnlich und Gideon lehnte sich nachdenklich an einen der Aktenschränke. Er würde es in einigen Minuten noch mal versuchen, vielleicht stand er grad unter der Dusche. Gideon machte kehrt und betrat den Konferenzraum erneut und lehnte sich innen gegen die Tür.

 

„Wir müssen davon ausgehen, dass auch das vierte Opfer kaum noch Überlebenschancen hat. Dexter Forbes stammt wie die anderen Opfer aus dem Raum Milltown und ist von Beruf Investmentbanker. Er verschwand auf dem Weg zur Arbeit.“ Hodge blätterte in den Unterlagen. „Forbes ist laut seiner Frau ein Gesundheitsfanatiker. Somit passt er in das Opferprofil.“

 

„Aber woher sollte unser Täter das wissen? Er benötigt dafür Insiderinformationen oder muss die Opfer alle persönlich kennen.“ Elle griff sich ebenfalls eine Tasse. „Das wäre ein Job für unser Datengenie.“

 

„Ich rufe Penelope gleich an, wenn es eine Gemeinsamkeit bei den Opfern gibt, wird sie diese auch finden. Ich bin gestern Abend noch einmal die Tatortfotos durchgegangen. Überall fanden sich leere Flaschen mit Desinfektionsmitteln. Ich werde die hiesigen Läden und Apotheken durchgehen, irgendwoher wird er das Zeug ja haben.“

 

„In Ordnung Derek. Gideon und ich sind die Aufnahme gestern noch einmal durchgegangen und haben uns ein paar Gedanken gemacht.“ Hotch blätterte in seinen Unterlagen. Es war die klassische Vorgehensweise in ihrem Team. Jeder steuerte neue Aspekte hinzu und gemeinsam bewerteten sie die Informationen und Erkenntnisse. Gideon kannte die Liste schon und verlies erneut den Raum um Spence zu erreichen. Es sah dem jungen Mann gar nicht ähnlich sich derart zu verspäten und wenn er auch jetzt wieder nicht auf den Anruf reagierte machte er sich ernsthafte Sorgen. Gideon lies es klingeln, doch am Ende erreichte er nur wieder die Mailbox. „Reid! Verdammt wo stecken sie denn? Melden Sie sich bei mir.“

 

Frustriert steckte er das Handy wieder ein und ging zurück in den Raum in dem Hotch noch immer ihre Liste vortrug.

 

„Wir können davon ausgehen, dass er ungefähr 40 Jahre alt ist, zumindest lassen seine Hände darauf schließen.“ Gideon konnte sich noch gut an die Szene erinnern, als der Mann die Gabel an seinen Mund geführt hatte. Am Ende der Aufnahme war der Täter in schallendes Gelächter ausgebrochen und hatte die Kerzen ausgeblasen. Nicht einmal hatten sie sein Gesicht sehen können. „Er legt sehr viel Wert auf Stil und gepflegtes Aussehen, seine Nägel sahen manikürt aus.“

 

„Woher wusste er, an wen er das Päckchen zu adressieren hatte? Ich habe deinen Namen in keiner Pressekonferenz erwähnt.“

 

„Das sollte nicht allzu schwer sein, Milltown ist eine eher kleine Stadt.“ Derek nahm einen Schluck. Sie alle dachten das gleiche, warum dieses Video? „Ich verstehe einfach nicht, warum er das Risiko eingeht identifiziert zu werden?“

 

„Vielleicht will er das ja?“ Gideon hatte die ganze Nacht darüber gegrübelt. „Vielleicht liebt er die Herausforderung besser zu sein als wir. Vielleicht ein Ausdruck von Arroganz.“

 

Hotch griff den Faden auf. „Oder er will gefasst werden, weil er das Publikum braucht…“

 

„Oder alleine nicht aufhören kann.“ Elle schien allerdings an dieser Version selbst nicht ganz zu glauben.

 

Derek lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Wenn er Publikum braucht und wenn er uns dafür auserkoren hat, wird er sehr bald den nächsten Schritt machen. Er wird uns vermutlich immer wieder Hinweise geben und uns mit der Nase drauf stoßen.“

 

„Und er wird versuchen uns immer eine Nasenlänge voraus zu sein. Unsere Aufgabe wird sein ihn zu überholen und selbst das Tempo zu diktieren.“

 

„Aber wie Hotch?“ Derek spielte mit dem Löffel in seinem Kaffee. „War in dem Video irgendwo ein Hinweis auf seine nächsten Schritte?“

 

Gideon, noch immer an die Tür gelehnt, dachte kurz nach, aber da war nichts gewesen. „Nichts Derek, nicht einmal ein Hinweis auf den möglichen Fundort des Investmentbankers.“

 

„Aber welchen Sinn macht dann dieser Zug in seinem Spiel? Solch eine Risiko nur um uns herauszufordern? Es muss einen Hinweis geben.“ Hotch hatte recht, da war sich Gideon sicher, nur hatte er beim besten willen nichts bemerkt im Video. Vielleicht war es die Tatsachen, dass er es überhaupt Ihnen sandte. Gideon spielte noch immer mit dem Handy in seiner Hand und hielt inne. „Was wenn er damit ausdrücken wollte, dass wir das nächste Ziel sind?“ Gideon sah in die Gesichter seiner Kollegen, doch sie hatten noch nicht verstanden, was ihm gerade in den Sinn gekommen war und auch in seinem Kopf nahm erst jetzt die ganze Tragweite seiner Aussage Gestalt an. Er starrte auf das Handy.

 

„Er ist nicht ran gegangen.“

 

„Grosser Gott!“ Derek lies den Stuhl wieder nach vorn kippen und auch in den Gesichtern der anderen wuchs die Erkenntnis, dass ihnen der Täter wohlmöglich wirklich voraus war und unwiderruflich in sein Spiel integriert hatte.

 

„Hoffen wir dass ich Unrecht habe.“

 

***

 

Gideon hatte erneut versucht Spencer Reid zu erreichen, doch ohne Erfolg. Die Fahrt zum Motel hatte nur wenige Minuten gedauert und Hotch und Morgan standen mit einigen Beamten des hiesigen Dezernats vor der Apartmenttür.

 

Hotch machte sich Vorwürfe, er hätte diese Bedrohung bereits gestern erkennen müssen, er war für den jungen Mann verantwortlich. Sie alle hatten den unerfahrenen BAU-Agent unter ihre Fittiche genommen und umso mehr ängstigte ihn der Gedanke, dass Gideon mit seiner Interpretation Recht haben könnte. Im Gegensatz zu Elle und Derek, die schon einige Erfahrungen aus anderen Einheiten mit in Team gebracht hatten, kam Spencer direkt von der Universität, ihm fehlte es einfach an der nötigen Erfahrung, die er nicht durch sein großes Wissen wettmachen konnte..

 

Er hob die rechte Hand und zählte mit den Fingern herunter. Sie hatte beschlossen den Raum zu stürmen und Hotch hoffte sehnlichst damit einen tief schlafenden Spence aus dem Bett zu scheuchen, doch er glaubte nicht daran. Als er runtergezählt hatte, brachen zwei Beamte die Tür auf und traten umgehend zur Seite um den FBI-Agents Platz zu machen.

 

Hotch stürmte mit der Waffe in der Hand in das kleine Zimmer, während Morgan das Bad zu ihrer Rechten sicherte, doch Reid war nicht hier. „Gesichert!“ Hotch steckte die Waffe wieder ein und sah sich um. Er wusste gleich, dass Gideon recht gehabt hatte. Das Bett war zerwühlt und auf dem Kopfkissen wie auf dem Laken fanden sich Spuren von Blut. Ein Buch lag aufgeschlagen vor dem Bett und das Licht war an. Gideon und Elle schoben sich an Hotch vorbei in den kleinen Raum.

 

„Großer Gott!“ Gideon ging um das Bett herum und blieb vor der Wand daneben stehen. Auch Hotch und die anderen konnten ihren Blick nicht davon abwenden. Mit Blut war dort das Wort Fleisch auf die Tapete gemalt.

 

Hotch hatte sich als erster wieder gefangen und wandte sich an einen der Beamten. „Wir brauchen hier sofort ein Spurensicherungsteam.“

 

Gideon bückte sich und hob mit einem Tuch einen Gegenstand auf, den sie alle nur zu gut kannten. Reid´s Brille. Niemand sagte ein Wort. Auch JJ war inzwischen im Raum und biß sich auf die Lippe, als sie das Blut sah. Ausgerechnet Reid suchte sich dieser Scheißkerl aus. Es begann in Hotch zu brodeln. Er würde diesen Kerl schnappen und wenn es das letzte war, was er tat. Doch er war auch für den Rest des Teams verantwortlich und das war sichtlich geschockt. Es lag nun an ihnen, dieses „Spiel“, dass für die BAU-Agenten schon lange keines mehr war, zu gewinnen. Er musste seinen Leuten signalisieren, dass sie etwas tun konnten.

 

„JJ! Davon darf die Presse nichts, aber auch gar nichts erfahren.“ JJ brauchte einen Moment, doch dann nickte sie und machte auf dem Absatz kehrt, um die entsprechenden Maßnahmen in die Wege zu leiten.

 

„Derek , ich sehe nirgendwo sein Handy. Vielleicht kannst du es orten?“ Hotch stemmte in gewohnter Weise seine Arme in die Hüften. Sie mussten einen Hinweis finden, irgendetwas, was der Täter übersehen hatte. Er lies seine Augen über das Zimmer gleiten, doch es gab weder Kampfspuren noch irgendetwas anderes.

 

***

 

Sie hatten sich wieder in das Büro begeben, während Elle die Arbeiten der Spurensicherung im Motel überwachte. Morgan hatte das Telefon in der Hand und sprach aufgeregt mit Penelope. Die Computerfachfrau des Teams war sicherlich genauso geschockt wie sie alle. JJ stand teilnahmslos in der Ecke und starrte vor sich hin, während Hotch vor den Tatortbildern der letzten drei Opfer stand.

 

Gideon saß am Besprechungstisch und starrte auf die Aktenberge. Das hätte einfach nicht passieren dürfen. Er hatte bereits Teammitglieder verloren und hoffte, dass er dieses Mal etwas dagegen tun konnte. Damals hatte er lange gebraucht mit den Selbstvorwürfen klar zu kommen.

 

„Er hat seine Technik perfektioniert.“

 

Gideon blickte zu Hotch auf. „Was meinst du?“

 

„Die Bilder zeigen es. Die Schnitte sind exakter als bei Opfer eins und zwei. Er vermeidet die großen Blutgefäße damit seine Opfer länger überleben und er mehr ernten kann.“

 

„Ernten?“ JJ´s Frage drückte all ihre Abscheu aus.

 

„Nichts anderes macht unser Täter, für ihn sind seine Opfer keine Personen sondern nur Fleisch, das ihm zur Verfügung steht. Es ist wie bei Jeffrey Dahmer, der mit seinen Opfern regelrecht experementierte. Um seine Opfer gefügiger zu machen, bohrte er ihre Köpfe an und flößte dann Säure ein. Die meisten überlebten diese Prozedur natürlich nicht.“

 

Gideon musste Hotch Recht geben, so abstossend dieser Gedanke auch sein mochte. „Dahmer machte auch Fotos seiner Opfer und dokumentierte sein Vorgehen wie unser Täter.“

 

Derek legte den Hörer beiseite. „Penelope füttert den Rechner mit allen Daten die wir bis jetzt haben, aber das wird eine gewisse Zeit brauchen.“ Er trat zu Hotch an die Bilderwand und betrachtete die vorherigen Opfer, als sein Telefon erneut klingelte. „Ja?“ Derek lauschte und nahm den Hörer vom Ohr und verdeckte es mit der Hand.

 

„Sie haben Reid´s Handy geortet!“ Er nahm die Hand vom Telefon. „Alles klar. Wo? Gut, wir kommen hin.“

 

Alle griffen zu ihren Jacken und Minuten später saßen sie im Wagen. Was würden sie vorfinden, Gideon ging dieser Gedanke nicht aus dem Kopf, doch dann wuchs in ihm ein Verdacht. Ihr Gegenspieler war ihnen bisher immer einen Schritt voraus gewesen, es würde auch dieses Mal so sein. Zurzeit waren die BAU-Agenten nur Spielfiguren in seinem perversen Spiel. Sie mussten nur wenige Straßenblöcke durch die sonnendurchflutete Stadt fahren. Gideon rückte seine Sonnenbrille zurecht als er ausstieg und sich umsah. Zwei Streifenwagen parken bereits vor Ort und untersuchten das vor ihnen liegende Gebäude.

 

„Es ist der klassische Fundort!“ Gideon murmelte es vor sich hin, nicht darauf achtend, ob die anderen ihn hörten. Vor ihnen lag die Milltowngrundschule, die jetzt in den Sommerferien nicht besucht wurde. Wie zuvor das wegen Bauarbeiten geschlossene Gemeindehaus, das baufällige Bootshaus im Park, dem Fundort von Lisa Shekton und der stillgelegten Fabrik, war dieser Ort leer. Niemand konnte den Täter bei seiner Arbeit stören, wenn er die Leichen entsorgte. Gideon sah, das auch die anderen solche Gedanken hatten, ihre ernsten Mienen sprachen Bände.

 

Doch das passte alles nicht zusammen, er würde Reid nicht so schnell töten, dann wäre das Spiel ja zu schnell vorbei, aber sie hatten noch immer keine Spur von dem jungen Investmentbanker. Der Täter hätte sich kein Opfer gesucht, bevor das alte entsorgt wäre.

 

Einer der Beamten kam ihnen am Hauseingang entgegen. „Wir haben eine männliche weiße Leiche. Das geortete Handy lag direkt daneben.“ Hotch drückte sich an dem Beamten vorbei und Gideon folgte ihm mit den anderen auf dem Fuße. War es doch der junge Wissenschaftler?

 

Gideon hielt die Luft an, als er die Szenerie sah. Die Leiche lag auf dem Fussboden auf einem weißen Laken, dass an vielen Stellen blutdurchtränkt war. Der halbnackte Körper wirkte wie aufgebahrt, als hätte er ihnen ihr Opfer regelrecht präsentieren wollen wie eine Jagdtrophäe. Doch im Moment war Gideon nur erleichtert, auch wenn er sich für dieses Gefühl regelrecht schämte. Dexter Forbes war ein junger Familienvater gewesen und nun lag sein misshandelter Körper hier vor ihnen. Einer der Officers deutete auf den kleinen Tisch neben dem Opfer. Reid´s Handy! Also hatte der Täter sie ganz bewusst hier her gelockt.

 

„Er will damit angeben. Alles deutet darauf hin: Die Art der Präsentation der Leiche und die Tatsache, dass er sie uns gezeigt hat.“ Gideon beugte sich zu Forbes hinab und besah sich die Wunden. „Er hat sich beeilt mit Forbes.“

 

„Ja. Die Schnitte sind nicht so genau wie bei den anderen. Vermutlich hat er den Gedanken einen von uns als Opfer zu wählen spontan gefasst und wollte dies hier schnell hinter sich bringen.“ Hotch hockte sich neben den Leichnam und besah sich die Verletzungen genauer. „Trotzdem hat er sich die Filetstücke nicht entgehen lassen.“

 

„Dafür ist er zu konsequent. Unser Täter ist gradlinig, er würde nicht von seinem Vorhaben abweichen.“ Morgan sah sich in dem Raum um. „Er hat uns zuletzt immer einen Hinweis auf seinen nächsten Zug gegeben.“

 

„Nein! Soweit ist er noch nicht. Er wird sich erst wieder melden, wenn er uns etwas zu zeigen hat.“ Gideon wandte sich ab und verlies den Raum. Hier würden sie nichts mehr erfahren. Der Kerl war gerissen und sie konnten nur auf seien nächsten Zug warten.

 

***

 

Das Blut rauschte in seinen Ohren und ihm war schlecht. Spencer kämpfte gegen die Benommenheit, doch er wusste einfach nicht wo er war und was geschehen war. Er versuchte sich zu orientieren, was nicht leicht war mit verbundenen Augen. Er war schon vor einigen Minuten zu sich gekommen und hatte versucht sich zu erinnern, was passiert war und wie er hier hergekommen war. Seine Arme schienen hinter seinem Kopf mit Handschellen an einer Art Bettgestell gefesselt zu sein und ein Knebel erschwerte ihm das Atmen.

 

Scheinbar war er allein, denn er hörte keinerlei Geräusche. Eine neue Welle der Übelkeit erfasste ihn. Jemand musste ihn betäubt haben, das letzte an das er sich erinnerte, war das Buch über Jeffrey Dahmer, in dem er gelesen hatte. Er konnte sich nicht rühren, denn auch seine Beine waren an das Bett gefesselt. Zudem schmerzte seine rechte Hüfte. Anscheinend hatte er noch immer das kurze T-Shirt an.

 

Er hatte schon genug Zeit gehabt um zu überlegen, wer ihn hier her gebracht hatte. Es konnte nur ihr Verdächtiger sein. Dazu brauchte er keinen seiner Doktertitel, der Schmerz an seiner Hüfte sprach Bände. Er spürte wie sich sein Atem bei diesem Gedanken beschleunigte, denn er kannte die Autopsieberichte der ersten Opfer und so wusste er was ihn erwartete.

 

Er zog erneut an den Handschellen, doch er würde sich nicht befreien können. Reid hoffte nur, dass ihm noch Zeit blieb, bevor der Täter wiederkam. Vielleicht konnte er ihn beeinflussen, ihn überzeugen, es nicht zu tun. Doch wenn er ehrlich zu sich selbst war, glaubte er nicht daran. Dafür war der Täter immer viel zu geplant vorgegangen. Er überliess nichts dem Zufall. Reid lies den Kopf zurücksinken.

 

Gideon und die anderen würden jetzt zusammensitzen und sie würden ein Detail finden, dass der Schlächter von Milltown übersehen hatte. Hotch würde hier hereinstürmen und die Fesseln lösen und er würde wieder sehen können und wäre in Sicherheit. Spence lauschte, doch es war nichts zu hören. Er musste innerlich über sich selbst schmunzeln. Er, der geniale IQ-Mensch, müsste doch eigentlich rationaler reagieren, doch er war wohl noch nicht lange genug in diesem Geschäft, denn er hatte Angst. Sie durchdrang jede seiner Fasern und er spürte wie er sich immer mehr verkrampfte. Er würde kommen und dann würde er…

 

Sein Puls raste hoch, als er plötzlich die Berührung einer Hand auf seiner Brust war nahm. Er war hier! Er war die ganze Zeit hier und beobachtete ihn. Sein Atem beschleunigte sich und er versuchte sich tiefer in das Bett zu drucken in dem erfolglosen Versuch der Berührung zu entkommen.

 

„Hallo Dr. Reid.“

 

Die sonore Stimme durchdrang ihn bis ins Mark, er hatte seinen Mund nah an sein Ohr gehalten und Reid spürte seinen warmen Atem an der Wange.

 

„Ich danke ihnen, dass Sie sich mir zur Verfügung stellen. Ich bin schon sehr gespannt auf die Reaktionen ihrer Kollegen, aber ich denke wir werden auch viel Spaß miteinander haben.“ Bei diesen Worten strich seine Hand in kreisenden Bewegungen über seinen Oberkörper.

 

Er überprüft die Ware. Spence versuchte den Gedanken erfolglos zu verdrängen.

 

„Ganz ruhig Doktor. Wir haben viel Zeit und viel vor.“ Seine Hand glitt höher und Spence wand sich unter ihm, doch er konnte sich den unangenehmen Berührungen nicht entziehen. „Ach ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Walter.“

 

Er ließ seine Finger den Hals entlang wandern, berührte sein rechtes Ohr und fuhr ihm durch die Haare. Die Hand war kühl und schien jede Stelle seines Körpers zu ertasten wollen, während sie langsam wieder tiefer wanderte. Die Dunkelheit um ihn herum, die fehlende Möglichkeit ihn zu sehen und mit ihm zu reden und ihm zu sagen, dass er aufhören soll machten diese Situation für ihn unerträglich. Er wünschte sich weit fort von hier. Immer tiefer wanderte die Hand und setzte nun stumm ihren Weg über seinen Körper fort und immer sehnlicher wurde der Gedanke dem zu entfliehen.

 

***

 

Penelope lies die Datenkolonnen über den Bildschirm rasen und wartete gebannt auf das Ergebnis. Sie suchte nach Verbindungen zwischen den Opfern, vielleicht konnten sie den Täter so besser lokalisieren. Morgan hatte sie mit den Opferprofilen gefüttert und Penelope schauderte bei all den Details.

 

Sie hatte hier Wohnorte, Arbeitsstätten, Verwandte und Familien, sowie Orte, die die ersten vier Opfer regelmäßig besucht haben. Vielleicht konnte sie Verbindungen herstellen, die ihnen bisher noch nicht aufgefallen waren. Sie hatte alle Rechner ausgelastet, da sie wusste wie sehr die Zeit drängte.

 

Das Team brauchte einen Hinweis, der sie auf die richtige Spur führte. In der Regel war sie eine Frohnatur, immer einen lockeren Spruch auf den Lippen, doch jetzt war ihr in keinster Weise danach. Sie kaute nervös auf ihrem mittlerweile fad gewordenem Kaugummi, während die Datenkolonnen vor ihrem Auge entlangliefen.

 

Als das Telefon klingelte, drückte Penelope die Freisprecheinrichtung. „Morgan. Habt ihr Neuigkeiten für mich?“

 

„Das wollte ich dich fragen.“

 

„Sorry Schatz, aber noch habe ich keine Treffer. Bisher kann ich nur sagen, dass Forbes und Shekton das gleiche Fitnessstudio besucht haben, aber noch kein Treffer bei den anderen.“

 

„Sag uns bitte direkt bescheid, wenn du etwas hast.“ Penelope kannte auch einige der Tatortfotos, sie wusste was von ihrer Arbeit abhing. Sie schätzte den jungen Reid, er war zwar noch sehr unerfahren, aber manchmal wusste er von manchen Dingen mehr als ihre Computer. Sie wollte gar nicht daran denken, was dieser Kerl mit ihm anstellte.

 

„Ich werde sicher bald etwas finden Derek.“

 

„Danke meine Liebe!“ Das Klicken in der Leitung lies sie mit ihrer eigenen Unruhe zurück.

 

***

 

Elle schob die Sonnenbrille in das Haar und sah sich vor dem Gebäude um. Das Milltownpolizeirevier war ein typischer Standardbau aus den 80er Jahren, dessen Betonfassade im grellen Sonnenlicht flimmerte. Um das Revier herum ging der Alltag weiter, wie in jeder Vorstadt. Milltown war da keine Ausnahme. Der Ort lag Chikago vorgelagert und viele der Menschen hier arbeiteten in der Millionenstadt. Milltown selbst hatte nur ungefähr 100.000 Einwohner.

 

Elle wandte sich um und betrat das durch Klimaanlagen angenehm gekühlte Polizeirevier. In den Händen hielt sie den Bericht der Spurensicherung aus dem Motel. Sie wusste bereits durch ein Telefonat mit Derek, dass die anderen Forbes gefunden hatten. Sie hatte für ihre Kollegen leider auch keine besseren Nachrichten.

 

Als sie das Büro betrat saß das Team bereits zusammen und diskutierte. Hotch wandte sich zu ihr um un d zog einen Stuhl für sie ab. Dankbar setzte Elle sich, die Hitze in der Stadt war unerträglich und sie hatte gerade eine Stunde im überhitzten Verkehr zugebracht. Elle nahm sich noch eine Flasche Wasser von dem kleinen Tisch neben der Tür und setzte sich neben Hotch und Gideon.

 

Sie legte die Akte auf den Tisch. „Die Spurensicherung hat keine weiteren verwertbaren Hinweise gefunden. Der Kerl ist äußerst vorsichtig. Allerdings hat er den Schriftzug an der Wand wohl mit der Hand geschrieben, aber da er Handschuhe getragen haben muss, konnten die Kollegen bisher keine Fingerabdrücke feststellen.“

 

„Ist es ..“ JJ zögerte und setzte neu an. „Ist es das Blut von Spence?“

 

„Ja!“

 

Für den Moment herrschte Stille. Natürlich hatten das alle vermutet, aber es lies die ganze Sache viel reeller werden. Einer ihrer Kollegen war nicht nur entführt sondern definitiv auch verletzt und es würde nicht die letzte Verletzung sein, die Reid zugefügt werden würde.

 

Elle nahm einen Schluck des Wassers. Ihnen rannte die Zeit davon. „Haben wir inzwischen mehr über die Opfer erfahren?“ Es war gängige Praxis bei fehlenden Daten über den Täter ein entsprechendes Opferprofil zu erstellen. Oft führte dieser Weg dann genauso schnell zum Täter.

 

„Penelope hat bisher nur eine Gemeinsamkeit im Freizeitverhalten gefunden, zwei der Opfer besuchten das gleiche Fitnessstudio, aber die anderen nicht.“

 

Gideon übernahm von Derek das Wort. „Wir haben bisher vier Opfer, sie müssen etwas gemeinsam haben.“

 

Elle musste Gideon recht geben, sie sahen es nur noch nicht. „Vielleicht denken wir zu speziell? Vielleicht ist es nicht der gemeinsame Sportverein. Was ist allen Opfern zu eigen?“ Sie sah auffordernd in die Runde, sie war sich sicher dass auch die anderen diesen Gedanken aufgreifen würden, der sich in ihrem Kopf gebildet hatte.

 

Derek machte den Anfang. „Alle waren jung.“

 

„Sie sind aber alle aus verschiedenen Jahrgängen, wir können vermutlich ausschließen, dass sie die gleiche Schullaufbahn hatten.“ Hotch´s Blick wanderte wieder zu den Fotos der Opfer.

 

„Ich habe Penelope alle Lebensläufe durchgegeben, wenn dort eine Verbindung bestanden hätte, hätten wir das sicher schon herausgefunden.“

 

„Wir haben ein Modell, einen Investmentbanker, einen Sportler und was war das erste Opfer noch mal?“ Gideon sah fragend in die Runde und Hotch sah in einer der Aktenkladden nach.

 

„Lehrer an der hiesigen Grundschule.“

 

„Ja, richtig! Nichts deutet auf eine Verbindung hin, es muss etwas sein, was zu alltäglich ist um aufzufallen. Forbes wurde doch in der Grundschule gefunden…“

 

„Nein das ist es nicht.“ Elle biss sich frustriert auf die Lippen und musste an die Autopsieberichte denken. Alle Opfer hatten aufgebissene blutige Lippen, weil er sie bei vollem Bewusstsein gequält hatte. Spence würde vielleicht auch auf einem solch blutigen Laken liegen, wie sie es bei allen Opfern gefunden hatten und sich vor Schmerz winden. Sie versuchte diesen Gedanken zu verdrängen, um sich weiter zu konzentrieren.

 

***

 

Walter blickte auf sein Opfer hinab. Er hatte dem jungen Mann noch immer die Augen verbunden und den Knebel im Mund gelassen. Schweiß rann ihm über die Stirn und er hoffte, dass das Wetter sich bald abkühlte. Es war seinem Vorhaben abträglich, das Fleisch verdarb viel zu schnell und es widerstrebte ihm, es in die Kühlung zu legen. Es musste noch körperwarm sein, wenn er es verarbeitete, nur dann setzte es den richtigen Geschmack frei.

 

Er musste sich vorbereiten, sein nächster Schachzug stand bald an. Er war gespannt ob die Kollegen von Dr. Reid es schafften das Netz um ihn enger zu ziehen. Es faszinierte ihn, den Profilern immer einen Schritt voraus zu sein, schließlich waren sie die besten, die das FBI aufzubieten hatte und sie kamen extra aus Quantico wegen ihm. Da musste er ihnen doch eine gute Show liefern.

 

Er krempelte sich ganz in Ruhe seine Ärmel auf und sah sich um. Alles lag bereit, das war ihm sehr wichtig. Auf einem Tisch neben dem Bett hatte er seine Instrumente liegen und etwas Mull um die stärksten Blutungen zu stillen.

 

Reid schien zu ahnen, dass bald etwas geschah, denn seine ganze Körperhaltung verkrampfte sich mehr und mehr. Walter erinnerte sich an Lisa. Reid wog kaum mehr als das Modell, da würde es schwierig werden genug zu ernten, aber er war der jüngste in dem Profilerteam gewesen und das war ihm wichtig. Mit Unmut dachte er an seine Anfänge zurück. Er hatte zunächst mit Tieren experimentiert und seine Zubereitung immer weiter verfeinert, bis er die Möglichkeit bekam an menschliches Fleisch zu kommen. Aber er hatte dabei keinen Einfluss auf den Spender gehabt, denn die OP-Abfälle kamen auch von sehr alten oder sehr kranken Menschen. Seit dieser Zeit wusste er genau worauf es ankommt.

 

Er drehte sich noch einmal herum und schaltete die Kamera auf Aufnahme. Er würde zunächst den gedeckten Tisch filmen und dann seine Arbeit. Er war stolz auf das was er hier tat und dass er immer besser wurde. Die meisten Menschen trauten sich das nicht, dabei war es doch etwas ganz natürliches und vor allem köstlich.

 

Auf dem Tisch war alles so drapiert, wie seine Mutter es ihm immer beigebracht hatte. ´Achte immer darauf, alles akkurat auszurichten mein Junge, das ist immens wichtig für den Eindruck, den du machen willst.` Sie würde sehr zufrieden mit ihm sein.

 

„Dr. Reid?“ Er sah wie der Kopf des jungen Mannes bei diesen Worten herum ruckte. „Ich habe die Kamera eingeschaltet. Wir wollen ihren Kollegen mal zeigen, wie ich meine Arbeit erledige. Ich bin mir sicher, sie werden beeindruckt sein.“ Für einen Moment überlegte er, ob er den Knebel entfernen sollte, doch er wollte nicht riskieren, dass sein Opfer die Aufnahme ruinierte und seinen Kollegen irgendwelche Hinweise gab. Schließlich hatte er schon seinen Namen offenbart, da er wusste, dass Reid ihn nicht mehr weitererzählen konnte, wenn er seine Arbeit vollendet hatte.

 

„Wissen Sie, als ich sie ausgesucht habe war ich hin und her gerissen. Sie haben da so eine schöne junge Frau in ihrem Team, ihre Pressesprecherin glaube ich. Sie lief direkt vor mir über den Parkplatz des Motels, ich hätte nur zugreifen müssen. Sie ist wirklich wunderschön, aber darauf kommt es bei gutem Fleisch nicht an, das weiß ich durch Lisa.“ Er zog den Hocker heran und griff zu seinen Instrumenten. „Alles was zählt ist junges Fleisch. Es muss zart sein.“

 

Schweißtropfen rannen von der Stirn des jungen Mannes. Walter sah sich noch einmal zur Kamera um, er hatte sie so ausgerichtet, dass sein Gesicht nicht zu sehen war. Zur Sicherheit band er sich noch eine sterile Gesichtsmaske um. Zufrieden blickte er auf sein Opfer hinab. Er hatte ihm vor einer Stunde einen Tropf angelegt, der den Flüssigkeitsverlust ausgleichen sollte.

 

„Ich muss ihre Fesseln etwas strammer ziehen, wenn Sie sich zu sehr bewegen, könnte ich mit dem Messer abrutschen und ein wichtiges Gefäß verletzen.“

 

***

 

In Spence Kopf rasten die Gedanken. Eine Kamera war auf ihn gerichtet und sein Team würde die Aufnahmen zu sehen bekommen. Eine Chance und zugleich ein seltsames Gefühl, wenn man selbst nichts sehen konnte. Sie würden zusehen müssen und er wünschte sich auch eher in der Perspektive des Betrachters sein zu dürfen. Doch er wusste was jetzt geschehen würde.

 

Er spürte die Hände seines Peinigers an den Handfesseln und musste aufstöhnen als ihm die Fesseln strammer ins Fleisch schnitten. Kurz danach spürte er einen Riemen, der über seinen Brustkorb gespannt wurde und kaum noch Bewegungsspielraum lies. Reid wusste dass er dem zu erwartenden Schmerz mit jedem Vorgang näher und näher kam und handeln musste. Er hoffte er würde möglichst früh das Bewusstsein verlieren und gleichzeitig musste er lang genug wach bleiben, um seinen Freunden einen Hinweis übermitteln zu können.

 

Er hatte einen Plan und er hoffte Walter würde es nicht bemerken. Allerdings bestand dann auch die Gefahr, dass seine Kollegen es übersahen. Er zuckte zusammen, als er die Hand seines Folterers über seinen Oberarm fuhr und verharrte. „Es wird weh tun.“

 

Reid war sich dessen durchaus bewusst und versuchte sich innerlich zu wappnen ohne seien Plan aus den Augen zu verlieren. Er wusste bereits einiges über sein Versteck, denn er war ein aufmerksamer Beobachter oder in diesem Fall eher Zuhörer. Er musste sich in einem alten Dachstuhl befinden. Die Hitze, der Geruch und das ständige Gurren der Tauben aus der Nähe waren eindeutige Indizien. Dazu kamen die anderen Geräusche. Aus der Entfernung waren die Geräusche eines Bahnhofes zu hören und wenn er sich nicht verhört hatte, war da auch noch ein Sportplatz. Vor einigen Stunden hatte er Lautsprecherdurchsagen gehört.

 

Ein stechender Schmerz durchzuckte seinen rechten Arm. „Ganz ruhig.“ Doch der Schmerz explodierte regelrecht, als das Messer ins Fleisch schnitt und er hörte nicht auf. Unaufhaltsam bohrte sich das Skalpell in seinen Oberarm.

 

„Ich werde dieses Filetstück nachher in kaltgepresstem Olivenöl anbraten Dr. Reid. Es ist wichtig es ganz scharf anzubraten, damit die Poren sich gleich schließen. Sie sind doch ein gebildeter Mann Doktor Reid, denken Sie dass…“

 

Die Stimme des Mannes verschwamm immer mehr, denn der Schmerz wollte nicht enden und maximierte sich. Jetzt sehnte er sich nach der erlösenden Schwärze der Bewusstlosigkeit die einfach nicht kommen wollte.

 

„Ein schönes Stück wird das.“

 

***

 

„In Ordnung. Unser Täter kommt sicherlich aus einer gutbürgerlichen Familie. Das Thema Essen war mit Sicherheit ein zentrales Thema in diesem Haushalt, vielleicht war der Vater Restaurantbesitzer oder Metzger, möglicherweise trifft das auch auf unseren Täter zu.“ Gideon sah den Detektives des Milltown-Polizeireviers entgegen. „Achten sie auf Männer zwischen 35 und 45 Jahren, gepflegt gekleidet und vermutlich mit dunklen Haaren.“

 

Einer der Beamten zeigte auf.

 

„Ja bitte?“

 

„Woher wissen wir das?“

 

„Seine erste Videobotschaft wurde von einem Wissenschaftler analysiert und anhand der Hautstruktur und Statur haben wir einige Rückschlüsse ziehen können.“ Gideon sah in seine Unterlagen. „Ein weißer mit dunklen Haaren, vermutlich stark gebräunt mit kräftiger gedrungener Statur. Er achtet sehr auf sein Äußeres und fährt vermutlich einen Mittelklassewagen. Alles in allem ein leider viel zu unauffälliger Typ.“

 

„Wie sollen wir ihn finden? Die Beschreibung ist mehr als dürftig und trifft auf eine Vielzahl der Milltowner männlichen Bevölkerung zu.“

 

„Über seine Opfer, wenn wir Glück haben.“ Hotch übernahm das Wort. „Alle Opfer wurden an zentralen Orten abgelegt. Das zeigt uns, dass der Täter sicherlich am öffentlichen Leben dieser Stadt teilnimmt. Er kennt all diese Orte und weiß sich dort Zugang zu verschaffen.“

 

„Wir werden heute ein Profil an die Öffentlichkeit geben und…“ JJ hielt inne, als ein Beamter den Raum betrat, sich hektisch umblickte und dann mit einem Umschlag auf Hotch zueilte. JJ wusste gleich was dies zu bedeuten hatte und den anderen würde es auch so gehen. Der Täter hatte seien nächsten Zug gemacht.

 

Einige Minuten später waren sie unter sich. Sie würden das Video nur im kleinen Kreis, ohne Außenstehende, ansehen, denn irgendwie war es, als würden sie Reids Privatsphäre damit schützen.

 

Ein Officer hatte den Umschlag mit der Disk hinter seinen Scheibenwischern gefunden, nachdem er sich einen Kaffee geholt hatte. Keine Spuren, keine Zeugen – der Täter war noch immer sehr vorsichtig.

 

Derek legte die Disk ein und schaltete den Monitor an. Sie sahen ihren Kollegen auf ein altes Metallbett gefesselt liegen, Augen und Mund verbunden, so dass er seine Umwelt weder sah noch sich ihr mitteilen konnte. Reids stärkster Waffe war sein Verstand, knapp gefolgt von seiner Sprache. JJ atmete tief ein, denn sie nahm sofort war, wie schlecht es Spence ging.

 

Sprachlos verfolgten sie die Szenerie und JJ spürte Übelkeit in sich aufsteigend, als sie die makaberen Sätze des Täters hörte und dabei Reids schmerzverzerrtes Gesicht vor Augen hatte. Das war kein Mensch. Erleichtert sah sie wie Spence anscheinend das Bewusstsein verlor. Der Täter hatte ihm ein großes Stück Gewebe aus dem rechten Oberarm entfernt und ging aus dem Bild. Wenn er doch wenigsten die Wunde verbinden würde. Der Blutverlust war stark, doch es dauerte, bis zwei Hände eine Kompresse auf die Wunde legten.

 

Gideon drückte die Pausetaste. Sie alle schwiegen betreten. Ihnen rannte die Zeit davon, aber sie alle brauchten diesen Moment um die aufsteigende Übelkeit und Verzweiflung abzuwehren.

 

Das Standbild zeigte den erschlafften Körper des blassen jungen Wissenschaftlers. Es hätte nie soweit kommen sollen. JJ war normalerweise tough genug der Presse die grauenerregendsten Details zu offenbaren, aber diese Opfer kannte sie meist nicht.

 

„Wie lang ist die Aufnahme Derek?“

 

„Sie geht noch weitere 60 Minuten“

 

„Dieses Schwein zerteilt ihn bei lebendigen Leibe!“ Abscheu schwang in Elle´s Stimme mit.

 

„Das wussten wir vorher. Seine anderen Opfer haben das zwei bis drei Tage ausgehalten.“ Gideon fuhr sich  mit der Hand über das Gesicht. „Er hat uns sicher wieder einen Hinweis hinterlassen. Er will ja, dass wir in suchen.“

 

„Oder er will nur über uns triumphieren.“ Hotch biß sich auf die Unterlippe. „Derek, schicke bitte eine Kopie an Penelope, sie soll das Band analysieren lassen und JJ sollte die besprochene Pressekonferenz vorbereiten.“ Er atmete tief durch. „Und wir werden uns das Band zu Ende ansehen müssen.“

 

***

 

Es war etwas kühler gewesen als er aufgewacht war, vermutlich war es Abend geworden und draussen abgekühlt. Spence lief ein Schauer über den unbedeckten Körper. Vermutlich lies ihn der Blutverlust die Kälte deutlicher spüren. Er lauschte intensiv ob er irgendein Zeichen von Walters Anwesenheit spürte, doch alles um ihn herum war still. Vielleicht hatte er das Haus verlassen, während er ohnmächtig gewesen war.

 

Spence hatte die Schmerzen der langsam in sein Fleisch schneidenden Klinge irgendwann nicht mehr ertragen können. Walters Stimme dabei an seinem Ohr, wie er die Vorzüge dieses Körperteils hervorhob und beschrieb, wie er es zubereiten wollte.

 

Spence konnte den Geruch des Bratens im Raum noch wahrnehmen. Das dies sein eigenes Fleisch war und nicht irgendein Stück Braten war ein erschreckender Gedanke. Reid machte sich nicht viel aus Fleisch. Seine Mutter hatte es nie gegessen und auch er brauchte es nicht wirklich zum Leben. Für diesen Walter schien das anders gewesen zu sein. Wenn er doch wenigstens mit diesem Mann sprechen könnte, vielleicht hätte er eine Chance gehabt ihn auszufragen. Ihn vielleicht irgendwie davon abzubringen.

 

Als eine Bohle in einiger Entfernung knarzte zuckte Spence zusammen. Er lauschte und nun hörte er auch die Schritte. Walter kam die Treppe hoch und es würde weitergehen. Er würde weder Reden noch sehen können und er würde weitermachen, bis er verblutet war. Es wurde ihm schlagartig bewusst: Erst wenn er tot war, würde Walter ihn in Ruhe lassen, denn totes Fleisch war für ihn nicht erstrebenswert.

 

Der Tod als Erlösung, ein nicht ganz so erschreckender Gedanke in seiner Situation, doch er musste seinen Freunden Zeit geben ihn zu finden. Zeit die qualvoll sein würde, Zeit die…

 

„Guten Abend Dr. Reid. Sind sie wieder bei uns?“ Walter schien irgendetwas neben dem Bett abzusetzen. „Ich habe ihre Freunde gesehen.“ Anscheinend zog er einen Stuhl an das Bett heran. „Sie hocken die ganze Zeit in ihrem Polizeipräsidium und überlegen was sie tun können, aber sie können nichts tun, wenn ich es nicht zulasse.“ Walter war mehr als überzeugt von sich.

 

Spence zuckte zusammen, als ihn die kalte Hand Walters an der Stirn berührte. Natürlich, er musste sichergehen, dass er keine Infektion entwickelte, denn dann wäre das Fleisch ja verdorben.

 

„Ihre Freunde werden  mich nicht kriegen, dafür werde ich sorgen und sie Dr. Reid bleiben noch bei mir. Irgendwann werden sie sterben, denn ohne ihre Organe würden sie nicht überleben. Aber leider sind die Organe auch das Beste an Ihnen mein Freund. Nun, sie sind ja angeblich sehr intelligent, vielleicht sollte ich ihre Intelligenz auch einmal schmecken können.“ Walter hatte seinen Kopf ganz dicht an Reid´s Ohr gelegt und strich mit der Hand über seinen Kopf. „Am Ende werde ich ihren Kollegen zeigen, wie sehr sie versagt haben!“

 

Spence fragte sich was er damit meinte, doch ihm war klar, dass der Weg bis dahin noch lang und schmerzhaft war. Wenn er wenigstens sehen könnte was passierte. Schon als Kind hatte er immer hinsehen müssen, wenn er eine Spritze bekam, denn dann war er auf den Schmerz gefasst.

Hier, ohne jegliche Kontrolle über seinen Körper und das Geschehen drum herum, zu liegen war für ihn eigentlich weit schlimmer als die eigentlichen Schmerzen. Doch das allerschlimmste waren Walters Hände, die immer wieder unvermutet über seinen ganzen Körper fuhren, das Fleisch regelrecht liebkosten, das er ernten wollte. Spence hatte alles versucht sich dem zu entziehen, doch die Fesseln hielten ihn unerbittlich. Er spürte das Blut seine Arme hinab laufen, denn die Fesseln hatten sich bereits tief ins Fleisch geschnitten.

 

„Wie ist es Dr. Reid? Wollen wir weitermachen?“ Spence hörte wie sich die Stimme von Walter um ihn herum bewegte. „Aber vielleicht sollten wir zuerst sicher gehen, dass sich die Wunden nicht entzünden. Das könnte jetzt etwas wehtun.“ Spence roch das Desinfektionsmittel, doch auf den Schmerz an seinen Handgelenken war er trotzdem nicht gefasst und bäumte sich auf.

 

„Ganz ruhig Doktor, es ist gleich vorbei.“ Spence lies sich wieder zurücksinken, doch die Schmerzen verblassten nur langsam.

 

Die plötzliche Stille im Raum verunsicherte ihn, wo war Walter? Vor ihm? Er hörte nur seinen Atem, aber er konnte ihn nicht lokalisieren. Er warf den Kopf herum und lauschte. Nichts, nur der schneller werdende Atem.

 

Plötzlich spürte er an seinem Arm eine Bewegung. Anscheinend legte er einen neuen Tropf an. Er spürte das Brennen in seinen Adern, als die Flüssigkeit in seine Venen lief. „Dr. Reid, ich werde ihnen jetzt ein Medikament geben, dass ihre motorischen und sensorischen Fähigkeiten stark einschränkt. Glauben sie mir, es ist besser, sonst kann ich nicht vorsichtig genug arbeiten.“ Spence spürte bereits die Wirkung des Mittels.

 

„Sie dürfen dieses Mal sogar zusehen.“ Mit diesem Satz riß er ihm grob die Binde von den Augen und für den Moment war Spence von der Helligkeit des Raumes geblendet. Vor sich erkannte er nur die Umrisse seines Peinigers. Langsam passten sich seine Augen an die Umgebung an und er erkannte Details, wie den groben Dachbalken über seinem Lager und das hohe Regal am Fussende.

 

Ein Blick an seinem Körper hinab zeigte ihm zwei nachlässig abgedeckte Wunden am Oberschenkel. Das Laken auf dem er lag war an vielen Stellen blutdurchtränkt. Eindeutig zu viel Blut. Er legte den Kopf zur Seite um so viele Dinge in sich aufzunehmen wie möglich. Vielleicht würde er dieses Wissen noch brauchen, denn Wissen konnte eine starke Waffe sein.

 

Wenn Walter ihm doch nur den Knebel abnehmen würde. Er versuchte ihn mit der Zunge hinaus zu drücken, doch sein Gaumen war so trocken, dass es zu sehr schmerzte. Seine Augen waren derweil weiter auf Wanderschaft.

 

Er sah den ordentlich gedeckten Tisch, den kleinen Herd, auf dem eine Pfanne stand, sowie ein Weinregal mit sehr staubigen Flaschen. In einer Ecke stand eine kleine Kiste, aus der einige alte Spielsachen heraus schauten. Dieses Haus schien wirklich schon sehr alt zu sein. Am Ende wanderte der Blick zu dem Instrumententablett neben seinem Kopf. Dort lagen sauber aufgereiht verschiedene große und kleine Messer, sowie einiges medizinisches Besteck wie Skalpelle und Gefäßklammern.

 

„Dr. Reid. Wo sollen wir weitermachen?“ Erschrocken wurde er sich wieder seines Peinigers bewusst, der abwartend neben ihm saß. Spence nahm sein Gesicht erstmals wirklich war. Eigentlich sah er eher unspektakulär aus, wenn er Reid auf der Straße begegnet wäre, hätte er ihn vermutlich gar nicht wahrgenommen. Blonde Haare lagen ordentlich frisiert an und er trug ein dunkelblaues Hemd mit schwarzer Krawatte, die er allerdings gerade entfernte.

 

„Wie wäre es mit einem Stück aus der Hüfte oder … ja ich glaub das machen wir. Lassen Sie sich überraschen Dr. Reid.“ Noch immer nicht in der Lage auf die Sätze Walters zu reagieren beobachtete er stumm, wie dieser letzte Vorbereitungen traf. Ein griff an den Tropf sorgte für einen höheren Durchfluß der Infusion und nur Sekunden später spürte Spence ein leichtes Schwindelgefühl. Seine Arme und Beine wurden ganz taub und er hatte das Gefühl schwerer Luft zu bekommen. Nervös wanderte sein Blick zu Walters Händen, die die Instrumente zurechtrückten. Neben dran lag ein aufgeschlagenes Anatomiebuch.

 

Ein weiterer Handgriff lockerte seine Handfesseln, doch Spence fühlte sich zu schwach, um seine Arme auch nur wenige Zentimeter zu heben. Das musste an dem Medikament liegen, das Walter ihm gegeben hatte. Ein fester Handgriff drehte ihn auf die linke Seite, so dass er Walter nun den Rücken zuwandte. Walters Hände strichen wieder einmal über seinen Körper und er spürte wie Walter die Stelle des nächsten Schnittes mit Jod einrieb und erschrocken identifizierte er die Stelle als seine rechte Niere. Großer Gott!

 

Spence versuchte sich hoch zu drücken, doch sein ganzer Körper schien ihn nicht gehorchen zu wollen. Schlaff lag er in dem schweißdurchtränkten Laken und hoffte, dass das Medikament ihm auch die Schmerzen nehmen würde, doch dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung. 

 

***

 

Gideon saß alleine in dem kleinen Büro am Rande des Reviers. Er hatte sich dorthin zurückgezogen um immer wieder das Video durchlaufen zu lassen. Es war kein Vergnügen, aber vielleicht der einzigste Weg, etwas über den Täter zu erfahren.

 

An einer Stelle hielt er das Band jedes Mal an und so auch jetzt. Trotz der Augenbinde und des Knebels war die Verzweiflung dem Gesicht Reid´s deutlich abzulesen. Das ganze Team passte nun schon seit einigen Monaten auf den jungen Mann auf, der sich zwar durch seinen unschlagbaren Intellekt hervortat, dem es aber noch an Erfahrung und der notwendigen Abgebrühtheit fehlte. Dazu kam die mangelnde Ausbildung an der Waffe. Gideon und Hotch versuchten ihn immer aus dem schlimmsten herauszuhalten, aber das ging in diesem Beruf einfach nicht.

 

Und jetzt hatte sich der Kerl ausgerechnet Reid geschnappt. Gideon starrte weiter auf das schmerzverzerrte blasse Gesicht auf dem Bildschirm, als Derek den Raum betrat.

 

Derek Morgan war ein extrem guter Profiler, Gideon schätzte ihre Zusammenarbeit, weil er sich sehr gut in die Täter hereinversetzen konnte. „Gibt es etwas Neues von Penelope?“

 

„Nein! Ich wollte dich fragen, ob du auch etwas zu Essen willst.“

 

„Nein Danke! Wie spät ist es inzwischen?“ Der Raum in dem er saß hatte keine Fenster und so hatte er jegliches Zeitgefühl verloren.

 

„Wir haben schon nach 23.00 Uhr.“ Sie alle hatten vermutlich nicht vor zu schlafen, bis sie Spence endlich gefunden hatten. „Hast du irgendetwas entdecken können?“

 

Gideon fuhr sich über die Augen. „Nein! Ich hab es mir schon zig mal angesehen, aber der Kerl hält sich immer außerhalb der Kamera und nichts was er sagt, lässt auf seine Identität schließen.“

 

„Warum spreizt Spence die Finger da so ab?“ Gideon sah auf den Bildschirm und entdeckte was Derek meinte. Spence Hände waren hinter seinem Kopf an ein Bettgestell gefesselt und der Ringfinger und Daumen der linken Hand waren seltsam abgespreizt. „Ich weiß nicht. Das ist mir bisher gar nicht aufgefallen“

 

„Spul mal zurück.“ Derek zog sich einen Stuhl heran und Gideon lies die Aufnahme ungefähr zwei Minuten zurücklaufen und sah gebannt auf den Schirm.

 

„Dort!“ Derek wies auf den oberen Bildschirmrand. Spence schien die Finger der linken Hand immer wieder unterschiedlich zu bewegen, es kam Gideon fast wie ein Rhythmus vor.

 

„Er gibt uns Signale!“ Gideon hatte sich zu sehr auf den Täter konzentriert und das Offensichtliche übersehen. Es hatte Reid sicher viel Kraft und Konzentration abverlangt, diese Signale trotz der Schmerzen zu geben, die er im gleichen Moment erleiden musste. Doch der junge Wissenschaftler überraschte sie alle oft genug. „Kannst du sie deuten Derek?“

 

„Nicht wirklich, sie wirken wie Morsesignale, aber dafür sind sie eigentlich zu abgehackt.“ Derek beugte sich vor. „Ich glaube Hotch kann Morsesignale.“

 

Gideon schob den Stuhl zurück. „Ich hole ihn.“

 

Fünf Minuten später saßen sie gemeinsam vor dem Bildschirm und Hotch notierte die Zeichen. Die Sequenz war nicht sehr lang, denn Reid war während der Prozedur schwächer und schwächer geworden. Am Ende zuckten die Finger nur noch schwach. Dazu kam, dass der Täter die Kamera lieber auf seine Arbeit, als auf Reid hielt. Nach wenigen Minuten drückte Hotch die Stoptaste und stand auf.

 

„Gehen wir in den Besprechungsraum.“ Hotch nahm den Hörer des Telefons auf. „Chief Masters? Kommen sie bitte zu uns.“

 

Wenige Minuten später standen sie alle um die große Tafel herum, während Hotch einige Begriffe aufschrieb. „Es waren nur einzelne Worte. Jetzt liegt es an uns herauszufinden, was er damit sagen will.“

 

Gideon betrachtete die einzelnen Begriffe, die zunächst keinen Zusammenhang zu haben schienen.

 

Tauben – Dachstuhl - alt – Walter – Sportplatz – Bahn – 30

 

„Ich konnte die letzten zwei Begriffe nicht wirklich entziffern, die Zeichen waren zu undeutlich.“ Hotch wandte sich an den Policeofficer aus Milltown. „Sagen ihnen diese Begriffe irgendetwas?“

 

Masters rieb sich den Nacken mit einem Taschentuch, die Hitze in der Stadt, hatte auch gegen Abend kaum abgenommen. „Nun, wir haben in Milltown insgesamt 7 Sportplätze, die Schulsportstätten nicht mitgerechnet.“

 

„Reid kann sich bei seinen Angaben nur auf sein Gehör verlassen haben, vermutlich hat er eine Veranstaltung gehört. Die Aufnahme ist von heute Mittag, wir sollten überprüfen, wann und wo heute Morgen Wettkämpfe stattgefunden haben.“ Derek machte sich Notizen.

 

Elle trat einen Schritt näher an die Tafel. „Was ist mit den ersten drei Begriffen?

 

„Vielleicht der Ort, wo er gefangen gehalten wird. Tauben kann man hören und sie halten sich mit Vorliebe in alten Dachstühlen auf. Die Aufnahme zeigte im Hintergrund eine alte Ziegelmauer.“ Hotch wandte sich zu Masters um. „Vielleicht ist das Haus unbewohnt.“

 

„Es gibt diverse leer stehende Häuser in der Stadt.“

 

Derek trat an die Karte. „Wenn wir jetzt noch den Hinweis auf die Bahn zu Grunde legen, müssten wir die Gegend doch eingrenzen können.“

 

„Was meint Spence mit der 30 und wer ist Walter?“

 

„Das ist offensichtlich JJ. Die 30 steht direkt hinter der Bahn. Er hat vielleicht die Intervalle gezählt, die zwischen den einzelnen Zügen liegen.“ Gideon sah an die Tafel. „Walter ist unser Täter.“

 

Derek wühlte in seinen Unterlagen und zog einen Stadtplan heraus. „Zeigen sie uns die Gegenden mit leer stehenden Gebäuden Masters.“

 

***

 

Der Wagen fuhr in hohem Tempo durch Milltown.

 

Elle und Derek überprüften ein Gebäude in der Lexton-Street nahe des Polizeireviers, während Hotch und Gideon auf dem Weg in die Washington-Street waren. Sie hatten ungefähr zwanzig Minuten gebraucht, bis sich diese beiden Zielgebiete heraus kristallisiert hatten.

 

Beide lagen in der Nähe eines Sportplatzes, auf dem am Vormittag eine Veranstaltung stattgefunden hatte und an einem führte eine Güterzugstrecke, an der anderen der Zug nach Chicago rein, vorbei. Ohne Reids Hinweise, wären sie nie auf diese Spur gekommen.

 

Hotch hoffte, dass sie nicht zu spät kamen. Er hätte die Handzeichen eher entdecken müssen.

 

„Es ist nicht deine Schuld Aaron!“ Gideon schien seine Gedanken erraten zu haben. „Ich kann zwar keine Morsezeichen, aber ich habe mir das Band immerhin mindestens zehnmal angesehen und es nicht bemerkt.“

 

„Aber wir haben dadurch entscheidende Stunden verloren.“

 

„Sicher! Aber wenn der Täter seinem Tatmuster treu bleibt, lebt Spence noch.“

 

„Dafür gibt es keine Garantie!“ Hotch sah ungeduldig zum Fenster hinaus. Die Fahrt dauerte viel zu lang für seinen Geschmack. Das Telefon klingelte und Hotch sah Dereks Namen im Display. „Was habt ihr?“

 

„Nichts. Das Haus hier ist sauber! Braucht ihr noch lange?“

 

„Nein. Habt ihr wirklich alles durchsucht?“

 

„Nichts! Ich habe Penelope an die Grundstücksdaten gesetzt. Wir kommen jetzt zu euch rüber.“ Hotch legte auf und sah kopfschüttelnd zu Gideon herüber. Damit war es umso gewisser, dass sie die richtigen Häuser erwischt hatten. Der Wagen bremste an einer Kreuzung. Sie wussten nicht, in welchem Haus sich Walter befand und so mussten sie unauffällig vorgehen. Einen Block weiter wartete bereits ein Krankenwagen.

 

Sie hatten alle schusssichere Westen an und Hotch sah sich kurz in dem Viertel um. Viele Häuser stand hier leer und Masters war sich nicht sicher gewesen, welches Haus es sein könnte.

 

„Hotch! Dort!“ Gideon wies nach oben, er war schon immer der beste Beobachter des Teams.. Auf der Dachrinne eines Hauses saßen einige Tauben. Im Schein der Laterne kaum zu erkennen. Die Fenster waren vernagelt und das Haus hatte einen alten Spitzgiebel. Einige Fenster im 3. Stock waren offen und Hotch sah einige der Tauben darin verschwinden.

 

„Das muss es sein.“ Hotch winkte die Einsatzkräfte heran und gab ihnen per Handzeichen verstehen, die Rückseite des Hauses zu sichern. Er, Gideon und Masters würden die Frontseite übernehmen. Auch die Tür war vernagelt, doch als Gideon an einem der Bretter rüttelte, merkten sie, dass sie nur oben befestigt waren und man die Bretter anheben konnte. Gideon hielt den Eingang frei, während Hotch seine Taschenlampe einschaltete und das Haus betrat.

 

Das Haus lag völlig still da und durch die Bretter vor den Fenstern auch im völligen Dunkel. Hotch setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, während die Kollegen hinter ihm folgten. Aaron leuchtete mit der Lampe die Treppe hinauf, viele der Stufen schienen recht morsch zu sein und er zweifelte daran unbemerkt bis in den Dachstuhl zu kommen. Vorsichtig brachte er den ersten Stock hinter sich und achtete immer darauf, nicht auf eine defekte Stufe zu treten. Der unruhige Schein der Taschenlampen war ein gespenstisches Bild durch das Treppenhaus.

 

Das Haus hatte vier Etagen und alle waren auf den ersten Blick leer gewesen. Oben angekommen sah Hotch sich um, konnte aber keine weitere Treppe erkennen. Verflucht! Sie waren sich so sicher gewesen. Er erschrak leicht, als Gideon ihm leicht auf die Schulter klopfte und nach oben deutete. Erst jetzt sah er die kleine Dachluke über ihm. Ein schwacher Lichtschimmer kam durch die schmalen Ritzen.

 

***

 

Gideon sah vorsichtig über die Kante der Luke und sah was er schon von dem Video kannte. Ein kleiner Raum, zur Zeit nur schwach erleuchtet von einer kleinen Glühbirne an der Zimmerdecke. Gideon sah sich prüfend um. Anscheinend war Walter tatsächlich nicht da.

 

Ungefähr drei Meter vor ihm sah er das Metallbett aus dem Video und das erste was er war nahm, war das viele Blut und mitten drin, der Körper seines jungen Kollegen. Auch Hotch drückte sich nun die Treppe hoch. Gideon sah, dass Reid eine Augenbinde trug und konnte im ersten Moment nicht feststellen, ob er bei Bewusstsein war oder nicht. Plötzlich bewegte Spencer sich. Er lebte!

 

„Ganz ruhig Spence. Es ist alles in Ordnung. Wir sind es. Gideon und Hotch.“ Es war offensichtlich, dass der junge Mann sich erschrocken hatte. Es beruhigte ihn, dass Reid bei Bewusstsein war. Gideon trat vorsichtig an das alte Metallbett.

 

Reid sah sehr blaß aus und lag nur mit einer Boxershort bekleidet auf dem blutigen Laken. Vorsichtig griff er an die Augenbinde und löste sie. Spence zwinkerte einen Moment, doch das Licht beleuchtete den Raum nur schwach und so gewöhnte er sich schnell an das Licht.

 

Reid wirkte müde und Gideon sah in seinem Blick viel von dem Leid, das er hatte ertragen müssen.

 

„Hier Hotchner. Schicken sie sofort den Krankenwagen und sichern sie die Umgebung. Ich will, dass alles durchsucht wird.“ Gideons Kollege trat neben ihn und beugte sich vor. Mit einer Sanftheit, die man ihm manchmal nicht zutraute, entfernte er vorsichtig den Knebel. Gideon nahm war, dass Reid bei jeder fremden Berührung zusammenzuckte.

 

„Ganz ruhig Spence. Es ist vorbei. Er kann dir nichts mehr tun.“ Die Worte von Hotch schienen den jungen Mann gar nicht zu erreichen. Abwesend blickte er an ihnen vorbei. Er war kaum ansprechbar und Gideon hoffte, der Arzt würde bald eintreffen. Der Blutverlust hatte den Körper stark entkräftet. An seinem Arm hing eine leere Infusion, die ihn anscheinend  mit Flüssigkeit hatte versorgen sollte. Der ganze Raum roch muffig und ein süßlicher Geruch mischte sich mit dem Geruch aus der Pfanne, die er mit einem Seitenblick wahrgenommen hatte.

 

Gideon fühlte Hilflosigkeit, er hatte das Gefühl ihm Helfen zu müssen, doch im Moment konnte er wenig tun, außer Reid das Gefühl der Sicherheit zu geben, das er jetzt sicher mehr als nötig hatte.

 

***.

 

Elle kam mit Derek ebenfalls am Tatort an und sprang aus dem Wagen, während Derek noch das Gespräch mit Penelope beendete. Ihr Teamleiter kam ihr schon am Eingang entgegen, während Einsatzkräfte für ausreichende Beleuchtung sorgten.

 

„Wie geht es ihm?“

 

„Nicht gut. Sie bringen ihn gleich herunter.“

 

„Wie schlimm ist es?“ Derek trat von hinten an Elle heran.

 

Hotch fuhr sich durch das Haar, ihm war anzusehen, wie betroffen er war. „Er hat versucht ihm die Niere zu entfernen, als das nicht klappte, hat er an anderen Stellen weiter gemacht. Er ist sehr schwach.“

 

Für den Moment wusste niemand etwas zu sagen, doch die Aktivität um sie herum riß auch sie aus ihrer Starre. „Hört zu. Gideon begleitet Spence ins Krankenhaus. Er informiert uns, so bald es etwas neues gibt. Wir müssen diesen Kerl schnappen. Ich will ihn haben!“

 

Den letzten Satz schleuderte Hotch mit solcher Wut heraus, wie Elle ihn noch nie bei ihrem Vorgesetzten erlebt hatte. Sie alle waren durch ihren Job abgehärtet, aber auch sie hatten ihre Grenzen. Hier ging es um einen von ihnen, um ihren Freund.

 

„Elle und ich werden den Tatort überprüfen und uns dann auf die Lauer legen.“ Hotch wandte sich an Masters, der gleich hinter ihm aus dem Haus gekommen war. „Chief, sorgen sie dafür, dass ihre Leute abrücken und richten sie hier draußen alles wieder her. Ich will nur ein kleines Team im Haus. Vielleicht kommt er zurück. Es ist nur eine kleine Chance, aber wir sollten sie nutzen, sonst sucht er sich ein neues Opfer.“

 

„Was ist mit mir?“

 

„Du flirtest mit unserm Computer-Genie. Ich will alles über dieses Haus wissen. Es muss für den Täter eine wichtige Rolle spielen!“

 

Am Hauseingang entstand Unruhe, als die Sanitäter mit der Trage herauskamen. Es versetzte Elle eine Stich, als sie den leeren Blick Reids sah. Er war so blaß! Die Sanitäter hatten ihm eine Atemmaske angelegt und Gideon hielt die Infusionen hoch. Vorsichtig wurde er an ihnen vorbei zum Krankenwagen getragen. Niemand von ihnen sprach ein Wort. Als die Türen des Fahrzeuges sich hinter Reid und Gideon schlossen, drehte Elle sich zum Haus herum und atmete tief durch. „Schnappen wir uns dieses Schwein!“.

 

***

 

Gideon saß auf einem unbequemen Stuhl und lauschte auf das leise Piepen des Monitors, der Reids Herzrhythmus anzeigte. Es hatte etwas einschläferndes, doch er wollte wach bleiben und für ihn da sein, wenn er aus der Narkose erwachte. Gideon hatte vorhin mit Derek gesprochen. Sie hatten noch immer keine Spur von Walter, er schien den Braten gerochen zu haben und hielt sich von dem Haus fern.

 

Das gedämpfte Licht lies alles in diesem Raum in diesem Raum fahl wirken und er konnte den Blick nicht von dem jungen Gesicht wenden. Er saß hier nun seit zwei Stunden und wartete und hatte viel Zeit zum nachdenken über Walter. Was hatte er dem Jungen nur angetan, Reid hatte im Krankenwagen kaum noch reagiert, aber wenn ihn jemand berührte, war er immer wieder zusammengezuckt.

 

Die Operation war gut verlaufen, aber es würde vermutlich nicht die letzte sein. Die Ärzte hatten seine Niere retten können, aber die fehlenden Gewebeteile erforderten vermutlich ein paar Hautverpflanzungen und kosmetische Operationen, wenn er wieder etwas kräftiger war.

 

Doch im Moment sah Gideon vor allem die Verletzungen der Seele. In der Zusammenarbeit mit ihm, hatte er schon immer mit Sorge beobachtet, wie sensibel er reagierte. Mit jedem Fall hatte er sich ein dickeres Fell zugelegt, aber dies hier war etwas anderes. Ein Stöhnen riss Gideon aus seinen Gedanken. Er erhob sich und trat an das Bett.

 

Die Lider Reids flatterten und langsam kämpfte er sich aus der Narkose. Einen Atemschlauch versorgte ihn über die Nase mit zusätzlichem Sauerstoff und weitere Schläuche versorgten ihn mit allem notwendigen. Reids Augen begannen unruhig hin und her zu wandern, so richtig schien er noch nicht wahrgenommen zu haben wo er war.

 

„Ganz ruhig Spence. Du bist im Krankenhaus und die Ärzte haben dich operiert.“ Er verzichtete bewusst darauf, ihm beruhigend die Hand auf den Arm zu legen. „Deine Niere wird heilen und die anderen Wunden auch.“

 

Spence Augen beendeten ihre Wanderung und starrten an die Decke. Es lag soviel Angst in diesem Blick und Gideon war froh hier geblieben zu sein. Spence war dem Kerl liegend und blind völlig ausgeliefert gewesen. Auch im Krankenhausbett musste er liegen und dies würde nicht unbedingt beruhigend wirken. Gideon ahnte, was in seinem jungen Schützling vorging.

 

„Möchtest du darüber reden?“

 

„Ich w…“  Seine Stimme war belegt und so musste er erst mal räuspern. „Ich weiß nicht.“

 

„Ich bleibe hier. Ich werde dich nicht allein lassen.“ Gideon zog den Stuhl näher heran und setzte sich.

 

„Er.. er hat immer…“

 

Gideon gab Spence Zeit sich zu sammeln.

 

„Seine Hände. Sie waren immer auf meinem …“ Es schien zu schwer für ihn auszusprechen, was ihn quälte. Gideon beschloß ihm eine Hilfestellung zu geben.

 

„Er hat dich berührt?“

 

„Ja.“ Tränen sammelten sich in den Augenwinkeln seines jungen Kollegen.

 

„Und du konntest nichts dagegen tun.“

 

„Nein. Ich konnte ihn nicht sehen. Nur spüren!“ Spence wand den Kopf zur Seite.

 

„Du warst allein, aber jetzt kann er dir nichts mehr antun. Wir passen auf dich auf.“ Gideon suchte den Blick Reids um sicher zu gehen, dass seine Sätze wirklich ankamen. Reid blinzelte und versuchte die Tränen zu verscheuchen. „Versuche zu schlafen.“

 

„Es war so dunkel!“ Gideon erkannte, dass er Angst hatte, die Augen zu schliessen.

 

„Ich bin hier. Niemand kann dir etwas tun.“

 

Gideon hoffte, dass die anderen diesen Mistkerl bald schnappten. Es war unvorstellbar, was er seinen Opfern antat.

 

***

 

Derek rief grad die Daten ab, die ihm Penelope per Sattelitenverbindung zusandte. Sie hatte die Eigentümerdaten abgerufen und einige Namen überprüft. Elle saß mit Hotch im Fond des Wagens. Sie warteten auf den nächsten Schritt des Täters, doch bisher hatte sich dieser noch nicht blicken lassen. Das Haus in der Washington-Street lag still und verlassen da. Elle und Hotch hatten kaum weitere Hinweise gefunden. Derek war nur kurz oben gewesen, aber die Szenerie würde er sobald nicht mehr aus dem Kopf kriegen.

 

„Penelope hat sich gerade gemeldet. Das Haus gehörte einem Desmond Sanderson. Er starb vor einigen Jahren an Krebs. Seitdem steht das Haus leer.“

 

Hotch sah von seinen Unterlagen auf. „Wie passt das zu unserem Walter? Wissen wir mehr über ihn?“

 

„Kommt grade rein. Sanderson war Jahrgang 1930 und Lehrer von Beruf. Er hatte das Haus von seinen Eltern geerbt. Seine Frau war Hausfrau und starb bereits vor zwanzig Jahren.“

 

„Warum steht das Haus schon so lange leer? Gab es keine Erben?“ Elle sah fragend zu ihm herüber.

 

Derek durchsuchte die Dokumente bis er die entscheidende Information fand. Sofort erkannte er, dass sie einen Treffer hatten. „Er hatte einen Sohn: Walter Sanderson!“

 

Elle und Hotch  hielten in der Bewegung inne. Sie alle waren sich klar, dass sie einen entscheidenden Zug im Spiel gemacht hatten. „Er ist hier in Milltown gemeldet.“

 

Derek nahm den Stadtplan und suchte die Straße heraus. „429 Lincoln-Road. Es ist nur fünf Blocks von hier.“

 

Hotch nahm sein Funkgerät und orderte Verstärkung zu der angegebenen Adresse, während Derek den Labtop neben sich ablegte und den Motor startete.

 

Zwanzig Minuten später stand Derek mit Elle hinter einem Zaun, der sie noch von dem Grundstück trennte, wo sie den Verdächtigen vermuteten. Das kleine Haus lag noch im Halbdunkel der Dämmerung des aufkommenden Morgens und Derek wurde sich bewusst, wie lange er schon auf den Beinen war.

 

Sie hatten die Straße abgesperrt und sich um das Haus in Position begeben. Hotch wartete mit zwei Beamten auf der anderen Seite. Derek sah wie sie sich in Bewegung setzten und gab Elle und den anderen ein Zeichen.

 

Im Haus war keinerlei Licht und Bewegung zu sehen. Sollten sie Walter nicht antreffen, würden sie ihm auch hier auflauern. Sie würden ihn schnappen, es war nur noch eine Frage der Zeit, denn sie zogen das Netz immer enger. Hotch hatte die Tür erreicht und sie stürmten. Derek folgte den anderen, aber sie wurden enttäuscht. Walter war wieder nicht da, die Räume waren alle leer. Verflucht! Wo steckte der Kerl?

 

„Derek, sieh mal hier!“ Elle zeigte an eine der Wände. Dort hingen mehrere Bilderrahmen mit Familienfotos und dazwischen neuere Rahmen mit den Bildern seiner Opfer. Allerdings waren es Bilder, bevor er sie entführt hatte. „Er muss seine Opfer ganz gezielt ausgespäht haben.“ Derek lies seine Taschenlampe weiter wandern. Alles in diesem Haus war korrekt ausgerichtet, geradezu pedantisch.

 

Hotch trat an sie heran. „Hört zu. Ich möchte, dass ihr hier keinen Stein auf dem anderen lasst, wir brauchen eine Spur. Derek, setz Penelope an seinen Lebenslauf.“

 

„Und du?“

 

Er hielt sein Handy hoch. „Ich treffe mich mit JJ, anscheinend hat die Presse Wind davon bekommen. Danach schaue ich im Krankenhaus vorbei.“ Sie alle hatten vor ein paar Stunden erleichtert reagiert, als Gideon ihnen von der erfolgreichen Operation berichtet hatte. Spencer war außer Lebensgefahr, aber sicher würde die Heilung seiner Wunden noch langwierig sein..

 

„Wir halten dich auf dem laufenden.“

 

***

 

Elle und Derek durchsuchten das ganze Haus. Keinen Winkel ließen sie aus und das Bild Walters und seiner Psyche wurde immer runder. Sanderson war in einer strengen Familie aufgewachsen, Konventionen schienen hohe Priorität zu haben und er war ein vorbildliches Gemeindemitglied. Derek durchsuchte gerade das Schlafzimmer mit dem ordentlich gemachten Bett in der Mitte des Raumes. Alles war aufs genauste ausgerichtet.

 

Sie hatten in der Küche ein Bücherregal voller Kochbücher gefunden. Die Küche war mehr als professionell ausgestattet gewesen und an der Wand hingen einige Urkunden über erfolgreich besuchte Kochkurse. Walter Sanderson führte wirklich ein absolut vorbildliches Vorstadtdasein.

 

Elle sah sich im Flur des Obergeschosses um und lies den Blick an die Decke wandern. „Eine Dachluke!“ Derek kam heran. „Hier muss sicher irgendwo eine Stange stehen.“ Elle sah sie in der Ecke hinter einer Kommode.

 

Sie öffnete den Zugang zum Dach und stieg vorsichtig die Treppe hinauf. Derek folgte ihr und lies wie sie seine Taschenlampe kreisen und verharrte an dem einzigen unauffälligen das der kleine Dachraum beinhaltete. Die große Kühltruhe beherrschte die ganze Rückfront und Elle näherte sich ihr neugierig.

 

Sie wartete bis Derek an ihrer Seite war und griff vorsichtig an den Griff des Deckels. Innen lagen viele tiefgefrorene Beutel, wie sie in jeder handelsüblichen Kühltruhe in ebenso vielen Haushalten zu finden waren, mit dem einzigen Unterschied, dass diese Beutel menschliches Fleisch enthielten. Elle nahm einen der Beutel in die Hand. Ein Etikett wies auf die Herkunft hin.

 

Dereks Handy klingelte plötzlich und Elle schrak zusammen. Ihr Kollege warf einen Blick auf das Display. „Es ist Hotch.“

 

***

 

„Hallo Derek. Habt ihr was neues?“

 

„Wir haben hier gerade etwas gefunden. Sanderson hat einen großen Vorrat von medizinisches Abfällen in seiner Gefriertruhe gehortet. Vermutlich nimmt er schon seit Jahren Menschenfleisch zu sich. Die Daten auf den Beuteln sind teilweise schon älter.“

 

Hotch wunderte sich darüber nicht. Viele Serientäter hatten eine lange Entwicklung hinter sich, bevor ihre Taten eskalierten. Was immer der Auslöser gewesen mag, irgendwann waren Sanderson diese Abfälle nicht mehr gut genug gewesen.

 

Hotch war auf dem Weg ins Krankenhaus. Er wollte sich persönlich vergewissern, dass Reid in Ordnung war. Vielleicht erfuhr er von ihm auch noch einiges über Sanderson, das ihnen half den Kerl zu kriegen. „Wissen wir inzwischen mehr über den Kerl? Wir brauchen eine Idee, wo wir suchen müssen.“

 

„Hotch hier ist Elle, ich höre über Lautsprecher mit. Ich habe alles durchsucht. Der Kerl hat ein völlig unauffälliges Leben.“

 

Hotch lies seinen Gedanken kreisen. „Wir haben irgendetwas übersehen!“

 

Sie hatten einen Täter, aber etwas hatten sie aus den Augen verloren. „Elle, Derek! Das Opferprofil! Wir haben noch immer keine Verbindung zwischen ihnen herstellen können.“

 

„Ja und?“

 

„Woher stammen die medizinischen Abfälle?“

 

Elle schien zu suchen. „Ähm, laut der Etiketten aus… dem Milltown-General-Hospital.“ In Elles Stimme schien bei den letzten Worten Erkenntnis mitzuschwingen. Hotch fühlte sich bestätigt in seinem Verdacht. „Was ist Sanderson von Beruf?“

 

„Er ist arbeitslos.“ Derek hatte den Lebenslauf des Mannes überprüft.

 

„Seit wann“

 

„Nicht lange, bis vor drei Monaten hat er … im Hospital gearbeitet.“

 

„Daher kennt er all die Menschen, sie waren sicher dort Patienten und daher hat er auch seine medizinischen Grundfähigkeiten.“ Hotch bog um die nächste Ecke und sah das Krankenhaus vor sich. Großer Gott! Ihm wurde schlagartig klar, was in Walters Kopf vorging. Er hatte seine Arbeit nicht vollenden können und das hatte er bisher nie getan, dafür war Walter zu sehr Perfektionist. „Das Krankenhaus! Er ist hier!“ Hotch trat das Gaspedal durch. „Kommt sofort hierher!“

 

Er drückte erneut die Tasten des Handys und wartete ungeduldig, dass abgenommen wurde. Hoffentlich hatte sein Kollege sein Handy an.

 

***

 

Der Kaffee hier schmeckte geradezu fürchterlich. Gideon hatte eigentlich gedacht, Polizeikaffee sei die grausamste aller Getränkearten, aber dieser hier war so schwach, dass damit sicherlich alle Herzkranken dieses Hospitals gut klarkommen würden. Nun, es war besser als nichts, denn er war hundemüde. Reid war zum Glück in einen tiefen Schlaf versunken. Er hatte dem Jungen zwar versprochen da zu bleiben, aber selbst er musste mal wohin.

 

Der Kaffeeautomat stand am Ende des Flures und so schlenderte er nun langsam zurück zu Reids Zimmer. Gideon hoffte, dass sich Spencer etwas besser fühlte, wenn er aufwachte. Ein Pfleger war grad im Raum gewesen und überprüfte die Infusionen und Werte. Das Milltown-Hospital erwachte langsam zum Leben und die Schwestern versorgten die ersten Patienten.

 

Sein Handy vibrierte in der Hosentasche, er hatte es auf stumm geschaltet, um Reid nicht zu wecken. Er holte es heraus und sah auf das Display. Hotch! Vielleicht hatte er endlich gute Nachrichten, Gideon wünschte sich zur Zeit nichts mehr, als dass sie den Kerl schnappten, damit Reid wieder beruhigt die Augen schließen konnte. „Hallo Aaron. Sag…“

 

„Gideon! Hör zu! Er ist wahrscheinlich im Krankenhaus. Er hat dort früher gearbeitet und er hat seine Dinge bisher immer zu Ende gebracht. Ich bin am Eingang und komme hoch.“ Gideons Gedanken rasten. Wenn der Täter hier war…

 

Er lies den Blick den Flur entlang wandern und erkannte seinen Fehler. Der Pfleger! Gideon lies die Kaffeetasse fallen und stürmte los.

 

***

 

Walter stand neben dem Bett und beobachtete ihn im Schlaf. Der junge Dr. Reid schien unruhig zu träumen, denn seine Augenlider zuckten. Vater hatte ihn gelehrt, alles angefangene auch zu beenden und genau das hatte er vor. Der andere Agent hatte den Raum verlassen, besser hätte es nicht funktionieren können und wenn er mit Reid fertig war, würde er sich die junge Blonde schnappen, vielleicht hätte er das von vornherein tun sollen.

 

Walter hatte keine Ahnung, wie sie sein Versteck so schnell hatten ausfindig machen können. Als er zurückgekehrt war, hatte er an der Ecke den dunklen Wagen gesehen, der für diese Gegend einfach viel zu nobel war. Seine Vorsicht wurde belohnt, denn er entdeckte zwei weitere Polizisten nahe des Eingangs.

 

Sein Vater hatte ihm dieses Haus vererbt, aber er hatte dort nicht leben können, zu viele Erinnerungen klebten daran, doch verkaufen kam für ihn auch nicht in Frage. Walter schob die Gedanken der Vergangenheit zur Seite, jetzt gab es nur noch seine Zukunft.

 

Sein Dr. Reid sollte aber mitbekommen, wie er sein Werk vollendete und so streckte er die Hand aus und schob vorsichtig die Decke zurück. Sie hatten ihm Verbände angelegt und vermutlich operiert. Walters legte seine Hand auf den Verband um den Bauch und fuhr an seinen Rändern entlang. Danach glitten seine Finger höher und erreichten die Haut am Hals. Fleisch war etwas so wundervolles, allein es zu unter seinen Fingern zu spüren faszinierte ihn.

 

Reid versteifte sich plötzlich unter seiner Hand. Er wurde wach. Schnell presste Walter seine Linke auf den Mund und umschlang mit der Rechten den Hals des vor ihm liegenden Mannes. Es würde ein leichtes sein, denn Reid war viel zu schwach um sich wehren zu können. Er riss die Augen auf und starrte ihn mit panischen Blick an, während seine Hände schwach versuchten die Hand an seiner Kehle wegzudrücken.

 

„Hallo Dr. Reid. Sie dachten doch wohl nicht, dass ich sie so einfach davonkommen lasse. Ich muss doch meinem Ruf bei ihren Kollegen gerecht werden.“ Reid versuchte unter seiner Hand zu schreien, doch er hatte keine Chance. „Ganz ruhig. Ihr Kollege holt sich grad einen Kaffee und hat sie bei mir zurückgelassen.“

 

Walter überlegte kurz wie er nun vorgehen sollte. Er würde vermutlich nicht allzu viel Zeit haben. Er drückte etwas fester zu und nahm die andere Hand von seinem Mund. Ohne die notwendige Luft, sollte Reid schwerlich schreien können. Mit der anderen griff er nach dem rechten Arm seines Opfers und zog ihn zu sich heran. „Es wird nicht so weh tun, wie die anderen Teile.“

 

Reids aufgerissenen Augen schienen ihm keinen Glauben zu schenken. Er führte den Arm seines Opfers an sein Gesicht und roch an seiner Haut. Alles in ihm war in Aufruhr, denn dieser Schritt war auch für ihn neu. Sein Puls raste in der Erwartung des leicht metallischen Geschmacks und erwartungsvoll fuhr er mit der Zunge über die Innenseite des kühlen  Handgelenkes. Reid bäumte sich unter seinem Griff auf, doch ihm fehlte die Kraft sich wirklich zu wehren.

 

„Ich danke Ihnen Dr. Reid.“ Damit schlug er seine Zähne tief in das dünne Fleisch am Handgelenk. Das Blut spritze ihm ins Gesicht und sein Mund erfüllte sich mit dem Geschmack, nach dem er sich sehnte. Pulsierend drang der rote Saft aus der zerbissenen Ader und er schloß genussvoll die Augen und begann zu trinken.

 

„Gehen Sie sofort weg von Ihm!“

 

***

 

Gideon hatte nicht fassen können, was er sah, als er den Raum betrat. Der Pfleger hatte sich über Reid gebeugt und würgte ihn mit der einen Hand, während er sich gleichzeitig in Reids Handgelenk verbissen hatte. Gideon hatte seine Waffe gezogen und richtete sie auf Walter.

„Ich sagte, gehen sie von ihm weg!“ Doch der Kerl grinste ihn nur mit blutverschmierten Gesicht an.

 

„Ah! Wir haben Publikum!“ Der Kerl schien völlig durchgedreht, er lies den stark blutenden Arm des Jungen los und auf das Bett fallen, während er sich zu Gideon umdrehte. Seine Linke umklammerte noch immer Reids Hals, der kaum noch bei Bewusstsein zu sein schien. Gideon wusste, dass er handeln musste.

 

Doch er hatte den Kerl unterschätzt. Mit einer unerwarteten Bewegung griff dieser an den Infusionsständer und schleuderte ihm diesen entgegen. Der Schlag kam für ihn so überraschend, dass es ihm die Waffe aus der Hand schlug. Walter zögerte nicht lange und setzte nach. Gideon sah das Skalpell nicht kommen, dass der Täter ihm entgegenschleuderte, er spürte nur den stechenden Schmerz in seiner Schulter, der ihm für einen Moment in die Knie gehen lies und den Atem raubte. Undeutlich nahm er war, wie der Kerl über ihn hinweg sprang und zur Tür hinausstürmte.

 

Gideon versuchte sich zusammen zu reißen und drückte sich wieder hoch. Er würde den Täter nicht verfolgen können, aber er konnte  und musste Reid helfen, aus dessen Wunde am Arm das Blut quoll. Er stütze sich auf das Bett und schob sich an die Seite seines Kollegen und griff nach dem Arm. Er musste die Blutung stoppen und so tastete er nach der richtigen Stelle um ihn abzudrücken und hielt ihn hoch. Er stöhnte, denn der Schmerz in seiner Schulter drohte ihm das Bewusstsein rauben.

 

„Gideon! O mein Gott!“ Als er sich umwandte, sah er das entsetzte Gesicht von Aaron Hotchner in der Tür.

 

„Schnapp ihn dir Hotch! Ich bleibe bei ihm.“ Sein Kollege nickte und wand sich um. Jetzt waren nur noch er und Reid und Gideon drückte mit der freien Hand den Notruf.

 

***

 

Hotch sah sich um. Wo war der Scheißkerl lang? Als er die Blutspur am Boden sah kannte er seinen Weg. Vor seinem Auge war noch immer das Bild, das sich ihm in dem Krankenhauszimmer geboten hatte. Er würde ihn nicht noch einmal entkommen lassen, er würde nie wieder jemanden in seinem Team, seinen Leuten schaden. Reid hatte schlimm ausgesehen mit all dem Blut, doch er wusste Gideon würde sich um ihn kümmern, wobei auch er scheinbar verletzt war.

 

Aaron rannte den Flur entlang und folgte der Spur durch eine Tür zum Treppenhaus, doch dort war niemand zu sehen. Still und scheinbar verlassen lag der Treppenflur vor ihm und die Blutspur wanderte am Betonboden nach oben. Hotch griff zum Funkgerät. „Hier spricht Special-Agent Hotchner. Riegeln sie das gesamte Milltown-Hospital ab. Flüchtiger ist gefährlich.“ Er hatte die Einsatzkräfte vor wenigen Minuten erst alarmiert und auch Elle und Derek müssten innerhalb der nächsten Minuten eintreffen. Im Moment war er jedoch allein.

 

Langsam ging er die Treppe hinauf, immer die Waffe im Anschlag, denn er traute dem Kerl alles zu und an seiner Intelligenz zweifelte er in keinster Weise. Er hörte ungefähr zwei Etagen höher einen Tür ins Schloss fallen und beschleunigte seine Schritte. Die Blutspur wurde immer dünner und endete vor der Tür, die in den OP-Trakt führte. Hotch griff zum Handy.

 

„Derek wo seid ihr?“

 

„Im Eingangsbereich. Die Einsatzkräfte sind vor Ort.“

 

„Hört zu, der Kerl versteckt sich im OP-Trakt auf der 6. Etage. Nehmt den Aufzug, ich komme vom Haupttreppenhaus. Vorsichtig sein, er hat Reid und Gideon angegriffen.“

 

„Alles klar.“ Hotch steckte das Telefon wieder weg und öffnete vorsichtig die schwere Tür. Der Flur vor ihm lag völlig verlassen da. Es war noch zu früh für den üblichen OP-Betrieb.

Aaron warf einen Blick auf den Boden. Die Blutspur wanderte nach rechts und er folgte ihr vorsichtig. Rechts ging es in die OP´s, doch die Blutspur war versiegt. Hotch ging hinter einem kleinen Schrank in Deckung. Aus seiner Position konnte er den Flurbereich vor den Aufzügen gut überblicken um seine Kollegen zu decken.

 

Er wartete geduldig, während die Anzeige über dem Aufzug die nahe Ankunft von Elle und Derek angab. Hotch hörte Stimmen hinter einer der OP-Türen. Vermutlich war dort eine Operation im Gange. Er hoffte nur, dass Walter nicht dort rein war. Sie mussten schnell handeln, sonst würden sie ihn hier nie finden, bei all den Ärzten mit ihren Schutzmasken.

 

Hotch sah sich um. Wo konnte er hin sein? Er hatte hier zu viele Möglichkeiten sich zu verstecken. Das leise Pling deutete die Ankunft des Aufzuges an, doch Hotch hörte noch etwas anderes und er wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte. Er spürte wie sich ein kräftiger Arm sich um seinen Hals legte und zudrückte. Der Kerl schleuderte ihn mit dem Arm gegen den Schrank und er verlor seine Waffe. „Ganz ruhig Agent Hotchner.“ Er spürte eine Klinge, die sich scharf an seinen Hals drückte, kurz über dem luftraubenden Klammergriff des Täters. Walter löste diesen Griff kurz und griff nach der Waffe.

 

Hotch sah wie sich die Aufzugtüren öffneten und Derek und Elle mit der Waffe im Anschlag heraustraten. Sie sahen ihn nicht gleich, doch dann blickte die junge FBI-Agentin in seine Richtung. „Miss Greeneway, Mister Morgan! Wie schön! Bleiben Sie dort stehen!”

 

Die letzten vier Worte kamen im Befehlston und seine Kollegen verharrten am Aufzug. Hotch könnte sich ohrfeigen, wie hatte er es nur so weit kommen lassen können. Der Griff um seinen Hals wurde wieder fester und er rang nach Luft. Sie alle waren auf solche Situationen geschult worden. Es lag an ihnen, das Patt zu ihren Gunsten zu ändern.

 

„Wie Sie wissen liebe ich Publikum. Sie haben das Spiel fast gewonnen, aber noch gebe ich nicht auf.“ Er musste ihn ablenken.

 

„Sie waren gut Walter, aber nicht gut genug.“ Hotch hoffte, dass seine Kollegen sein Spiel erkannten. „Sie waren nachlässig.“

 

„Was fällt Ihnen ein. Ich war mehr als sorgfältig.“

 

Derek schien das Spiel aufzunehmen. „Walter, wenn sie so sorgfältig waren, warum ist Lisa Shekton dann gestorben, als sie ihr die Leber entfernten?“ In der Stimme des BAU-Agenten schwang etwas provozierendes mit. Hotch wusste, dass seine Kollegen noch nicht eingreifen würden, solange Gefahr bestand, dass er ihm die Halsschlagader durchtrennte.

 

„Das.. das war…“ Der Vorwurf hatte ihn offensichtlich verunsichert.

 

„Sie haben sie verbluten lassen, als sie die Leber zerschnitten. Sie haben gutes Fleisch unbrauchbar gemacht.“ Derek war schon immer ein Profi darin gewesen, sich in die Gefühlswelt der Täter zu versetzen und er spielte seine Trümpfe aus um den Mann abzulenken. Er lies ihm keine Zeit sich zu sammeln. „Carlton Meyers!“

 

„Was? Was soll mit ihm sein?“ Walter war sichtlich irritiert, er konnte es in der Stimme und an seinem schnellen Atem erkennen. Derek war auf dem richtigen Weg.

 

„Meyers war schlechtes Fleisch, viel zu zäh. Sie hätten das bei einem Sportler wissen müssen. Niemand mag zähes Fleisch. Sie haben versagt Walter.“

 

„Das ist nicht wahr!“ Die Stimme des Mannes vibrierte vor unterdrückter Wut. Derek spielte ein gefährliches Spiel.

 

„Was hätte ihr Vater dazu gesagt? Verschwendung von gutem Fleisch, schlechte Qualität. Sie hätten es besser machen können.“ Derek schleuderte ihm die Vorwürfe ohne Pause entgegen und Hotch wusste, dass es bald soweit war.

 

„Ich habe nicht versagt. Hören sie auf damit!“ Doch Derek wollte ihn provozieren.

 

„Und dann schnappen Sie sich ausgerechnet den Hungerhaken Reid, an dem ist doch nichts dran und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, verpatzen Sie auch das.“

 

„Das ist nicht wahr! Ich… seien sie still.“ Walter richtete den Revolver auf Derek und lockerte den Griff um Hotch Hals. Auch die Klinge spürte er nicht mehr direkt an seinem Hals.

„Sie haben keine Ahnung von gutem Fleisch Walter, Sie sind nur ein Dilletant!“ Derek hatte sein Ziel erreicht, denn nun verlor Walter völlig die Fassung und Hotch nutzte diesen Moment. Er griff nach dem Arm mit dem Revolver und stieß ihn zur Seite, während er sich gleichzeitig zur Seite beugte um aus dem Schussfeld zu geraten. Er spürte wie ihn das Skalpell schmerzhaft an der Wange streifte, als ein Schuss fiel.

 

Hotch merkte wie der Mann hinter ihm zusammenzuckte und sein Blick fiel auf Elle, die neben Derek hockte, die Pistole im Anschlag. Walters ganze Aufmerksamkeit hatte nur noch Derek gegolten, Elle war ganz aus seinem Fokus gerückt und hatte ihr die Chance gegeben zu feuern.

 

„Hotch! Bist du ok?“ Derek lies seine Waffe weiter auf Walter gerichtet, der nun hinter ihm lag und stöhnte. Elle übernahm die Sicherung und Derek half ihm auf. Mit der Hand griff er sich an die Wange und spürte das Blut zwischen seinen Fingern hindurchfließen. Derek griff auf einen Materialwagen und hielt ihm eine Mullkompresse entgegen.

 

„Danke! Geht schon.“ Elle hielt noch immer die Waffe auf Walter gerichtet, der stöhnend am Boden lag und sich an die Brust griff. Elle hatte ihn mitten in die Brust getroffen. Am liebsten hätte sie ihn verbluten lassen, aber vermutlich würden die Ärzte ihn wieder hinbekommen.

 

***

 

„Der in der Öffentlichkeit als Milltownmörder bekannt gewordene Täter konnte heute erfolgreich überführt werden. Das FBI stellte ihn im Bezirkskrankenhaus und konnte ihn überwältigen. Vier seiner Opfer starben unter grausamen Umständen, ein fünftes Opfer überlebte schwer verletzt. Der Täter wird bald dem Haftrichter vorgeführt werden. Milltowns Bürger können wieder beruhigt schlafen. Wir werden ihnen bald weitere Details über den Serientäter liefern.“

 

JJ schaltete den kleinen Fernseher im Raum ab. Sie hatte bis vor einer halben Stunde eine Pressekonferenz gehalten. Die Bürger verdienten es beruhigt zu werden, zu viele Gerüchte über den Kannibalen von Milltown hatten die Runde gemacht.

 

Gideon hatte ihr erzählt, dass der Kerl überlegt hatte, sie zu entführen, als er sie auf dem Parkplatz des Motels gesehen hatte. Ein Schauer durchlief ihren Körper. Sie hatte gesehen, was Sanderson ihrem Kollegen angetan hatte, wie verkraftete man so ein Erlebnis nur?

 

„Das war es also!“ Derek stand in der Ecke neben der Tür. Sie alle warteten auf Reid, der gerade von einem Gefäßchirougen operiert worden war. Ein Arzt hatte ihnen vor zwanzig Minuten mitgeteilt, dass die Operation gut verlaufen war. Sie alle warteten nun in seinem Zimmer um sich davon selbst überzeugen zu können.

 

„Nicht ganz!“ Gideon saß in einem der wenigen Stühle. Sein Arm steckte in einer Schlinge und unter seinem blutigen Hemd war ein Verband zu sehen. Es war mehr als knapp gewesen, fast hätte der Kerl nicht nur Reid, sondern auch Hotch und Gideon getötet.

 

JJ war nicht immer in vorderster Front bei den Einsätzen, doch sie war Teil des Teams und als solche standen ihr die anderen nahe. Sie fragte sich was Gideon damit meinte, doch Gideon starrte nur vor sich hin. JJ wusste, dass das besonders Gideon und Hotch sich Vorwürfe machten, dass Reid in die Fänge des Kerls geraten waren. 

 

Die Tür wurde geöffnet und eine Schwester schob das Krankenbett in das Zimmer. In ihm lag Spencer. Sein Gesicht war so blass und eine Atemmaske versorgte ihn mit zusätzlichem Sauerstoff. Der Arzt hatte ihnen erklärt, dass er viel Blut verloren hatte und doch erschrak JJ bei dem Anblick. Sie alle schwiegen und sahen zu, wie die Schwester die Geräte ausrichtete und kontrollierte, das leise Piepen des Herzmonitors durchdrang den Raum. Hotch und Elle standen an der Seite und in ihren Gesichtern las sie die gleiche Sorge, die sie auch in sich spürte.

 

Hotch hatte ein großes Pflaster auf der Wange und so allmählich begriff JJ, was Gideon gemeint hatte. Dieser Fall würde Spuren in ihrem Team hinterlassen, sichtbare und unsichtbare.

 

Nachdem die Schwester den Raum verlassen hatte beugte Gideon sich vor und rieb sich mit der Hand durch das Gesicht, als müsse er die trüben Gedanken abschütteln. „Wir müssen ihm jetzt da durch helfen. Ich hatte ihm versprochen, er wäre jetzt in Sicherheit hier. Ich habe ihm versprochen, dass der Kerl ihm nichts mehr anhaben könne. Ich…“

 

„Es war nicht deine Schuld Jason!“ Hotch blickte starr vor sich hin.

 

„Das macht für Reid aber keinen Unterschied. Ich habe ihm gesagt er soll die Augen ruhig schließen, obwohl er solche Angst davor hatte und als er aufwachte, war dieser Kerl direkt über ihm.“

 

„Er wird Zeit brauchen damit fertig zu werden.“ Dereks Stimme war mehr als ernst. Reid war noch sehr jung, keiner von ihnen konnte erahnen, was dieses Erlebnis mit ihm machte.

 

„Ja.“ Gideon stand auf und trat an die Seite des Bettes. „Er wird Angst vor der Dunkelheit haben und vor Berührungen. Wir müssen sehr behutsam sein, denn er wird Schwierigkeiten haben, vertrauen zu fassen. Außerdem wird er mit den Folgen der Verstümmelungen zu kämpfen haben.“

 

JJ schluckte schwer. Ja, sie würden für Reid da sein müssen. Wer, außer ihnen, würde sich besser in ihn hereinversetzen können. Sie würden ihm beistehen und helfen. Gideon hatte recht gehabt, das ganze war noch lange nicht vorbei, dieser Fall würde sie nach lange gefangen halten.

 

 

Ende